Maarten Janssen weiß, dass Kinder spieltheoretische Prinzipien gut durchschauen: Drohungen sind nur wirksam, wenn sie Aussicht auf Realisierung haben.

Foto: Standard/Corn

Standard: Was sagen Sie als Wirtschaftswissenschafter zur jüngsten Versteigerung von Frequenzbändern für Telekomanbieter in Österreich?

Janssen: Die Versteigerung ist ein typisches Beispiel für ein spieltheoretisches Problem, sowohl für den Verkäufer als auch für die Bieter. Was den Verkäufer, also die Regierung, betrifft, lautete die interessante Frage: Welche Regeln wähle ich, um meine zwei Ziele zu erreichen. Erstens einen hohen Gewinn und zweitens ein Verkaufsergebnis, das ausreichenden Wettbewerb zwischen den verschiedenen Anbietern sicherstellt. Wäre die Regierung bloß an Gewinn interessiert, hätte sie die Frequenzen besser an nur einen Anbieter verkauft. Aber das hätte zu einem Monopol geführt.

Standard: Wurden beide Ziele erreicht?

Janssen: Aus meiner Sicht: Nein. Die Telekom hat die mit Abstand meisten und besten Frequenzanteile ersteigert, T-Mobile hat ein mittelmäßiges Ergebnis erzielt, und "3" hat so geringe Anteile erhalten, dass dieser Anbieter vermutlich in Zukunft Probleme mit dem Mobilfunkstandard LTE bekommen wird. Das heißt: In Bezug auf 4G-Handys kann der Markt früher oder später auf zwei Anbieter schrumpfen. Den Mangel an Wettbewerb werden die Konsumenten bezahlen müssen.

Standard: Was hätten Sie anders gemacht?

Janssen: Da muss ich zunächst etwas über Auktionen sagen. Die meisten Leute denken in diesem Zusammenhang an Kunstauktionen, bei denen der Höchstbieter den Zuschlag erhält. Es gibt aber noch eine zweite Variante, die sogenannte Sealed-Bid-Auktion. Dabei geben die Teilnehmer ihr Maximalgebot in einen Umschlag: Wer am meisten zu zahlen bereit ist, erhält den Zuschlag. Das ist die Variante, die bei der jüngsten Auktion gewählt wurde - nur war die Situation insofern komplizierter, als die Bieter für viele mögliche Kombinationen von Frequenzanteilen bieten konnten.

Standard: Es gab also viele Umschläge?

Janssen: Ja, vermutlich hunderte. Die österreichische Bundesregierung wählte jene Kombination an Geboten aus, die den höchsten Preis erzielte. Zu ihrer vorherigen Frage - ich hätte der Regierung zwei Dinge vorgeschlagen: Um Konkurrenz im Markt sicherzustellen, hätte man die Auktionsregeln ändern müssen. Man hätte etwa sagen können: Ein Anbieter darf nur so und so viele Anteile pro Frequenzband erwerben. Das wurde unterlassen. Die zweite Möglichkeit wäre eine offene Auktion gewesen.

Standard: Mit welchen Vorteilen?

Janssen: Bei offenen Auktionen haben die Bieter mehr Information - das wäre für die Markteffizienz besser gewesen. Sealed-Bid-Auktionen sind für die Bewerber mit großer Unsicherheit verbunden: Diese Situation schützt zwar etwas besser vor Absprachen, sie kann aber auch zu sehr unausgewogenen Ergebnissen führen.

Standard: Sehen Sie noch andere Anwendungen der Spieltheorie im politischen Tagesgeschäft?

Janssen: Ja, ich sehe sie zum Beispiel im Gesundheitswesen. Bei Auktionen lassen sich verschiedenste Ergebnisse durch Regeln festlegen. Das ist im Gesundheitswesen nicht der Fall, was die Situation bedeutend komplizierter macht. Die Frage ist: Wie können wir die Kosten unter Kontrolle halten und gleichzeitig eine gute Versorgung gewährleisten?

Standard: Wie lautet Ihre Antwort?

Janssen: Ich kenne das österreichische System nicht gut genug, aber ich kann etwas über die Situation in Großbritannien und in den Niederlanden sagen: Dort sind die Versicherungsträger private Firmen, die mit Ärzten und Spitälern verhandeln und sie auf diese Weise zum Sparen anregen. Die Konkurrenz zwischen den Firmen ermöglicht einen Kompromiss zwischen Kosten und Versorgung.

Standard: Nur macht es - insbesondere für Kranke - schon einen Unterschied, ob man zu einem anderen Handyprovider wechselt oder die Gesundheitsversicherung tauscht.

Janssen: Da haben Sie recht. Ich sage nicht: Der freie Markt ist alles, und es braucht keine Regulation. Man muss natürlich zuvor festlegen, dass der Wechsel jederzeit möglich ist, und zwar unabhängig davon, ob man nun krank oder gesund ist. Und es muss auch festgeschrieben werden, welche Behandlungen in der Mindestversorgung inkludiert sind. Es braucht die richtigen Regeln. Wenn Sie etwa an "Obamacare", die Gesundheitsreform des US-Präsidenten, denken: Hier wurden die spieltheoretischen Regeln geändert, und die Armen profitieren davon. Jeder Amerikaner muss nun krankenversichert sein. Arme, die sich eine Versicherung nicht leisten können, sind auch abgedeckt.

Standard: Hat Ihr Forschungsgebiet auch Einfluss auf Ihr Privatleben?

Janssen: Ich würde nicht sagen, dass die Forschung mein Privatleben beeinflusst, aber ich kann zumindest sagen: Kinder sind recht gut darin, spieltheoretische Prinzipien zu durchschauen. Als mein Sohn noch klein war, musste ich einmal mit ihm schimpfen. Ich sagte zu ihm: "Wenn du damit nicht aufhörst, nehme ich dich nicht zur Geburtstagsfeier von Oma mit!" Er sah mich an und sagte: "Das wirst du sicher nicht tun." In Begriffen der Spieltheorie: Drohungen sind nur dann wirksam, wenn sie auch Aussicht auf Realisierung haben. Er wusste, dass ich mit der ganzen Familie zu dieser Feier fahren will. (Robert Czepel, DER STANDARD, 30.10.2013)