Der Bundeskanzler entdeckt das Parlament: Die Abgeordneten der SPÖ sollen künftig mehr mitreden dürfen, verspricht Werner Faymann, sichtlich beseelt von der Vision des "neuen" Regierens. Ein Klubzwang, der die laut Verfassung "freien" Mandatare an das Diktat der Parteispitze bindet, sei schließlich nicht mehr zeitgemäß.

Da mag man seinen Ohren kaum trauen: ausgerechnet Faymann! Bisher hat der SP-Chef eher allergische Reaktionen erkennen lassen, wenn aus der Reihe getanzt wurde. Argwohn entzündete sich an Eigenwilligkeiten in der Regierung ebenso wie an Dissidenz im Nationalrat. So konnte die rote Chefetage nicht einmal ertragen, dass eine Handvoll Abgeordneter trotz sicherer Mehrheit gegen den Fiskalpakt stimmen wollte. Nach Druck von oben blieb Sonja Ablinger als Einzige übrig. Es ist wohl kaum ein Zufall, dass sie im neuen SP-Klub keinen Platz mehr fand.

Faymann hat die Zuchtmeister in den eigenen Reihen sicher nicht gebremst, im Gegenteil: Klubobmann Josef Cap dürfte seine Ablöse nicht zuletzt dem Umstand verdanken, dass er in den Augen des Parteichefs die Mandatare nicht im Griff - oder treffender: an der Kandare - hatte.

Aber vielleicht hat die Wahlschlappe tatsächlich eine Läuterung bewirkt. Die Chance, seinen neuen Respekt vor dem Parlament zu beweisen, hat Faymann bald: beim Beschluss des Budgets, wo sich Regierungen traditionell in der Disziplin des Drüberfahrens üben. (Gerald John, DER STANDARD, 30.10.2013)