Der jugendliche Aurelien (David Merabet, ganz re.) in Gesellschaft seiner neuen Arbeitskollegen. Marianne Pistone und Gilles Deroo folgen ihm in "Mouton" mit viel Feingefühl. 

Foto: Viennale

Das Gericht entscheidet über das weitere Schicksal des jungen Mannes, dessen Spitzname auch der Titel des Debütfilms von Marianne Pistone und Gilles Deroo ist: Mouton, das Schaf. Der Staat entzieht der Mutter, einer Alkoholikerin, das Sorgerecht. Aurelien (David Merabet), so lautet der richtige Name des 17-jährigen Protagonisten, darf nun sein eigenes Leben führen. Ein Job als Küchenassistent in einem Restaurant in Courseulles-sur-Mer, einem Küstenort in der Normandie, soll ihm als Einstiegshilfe in die Unabhängigkeit dienen.

Die kaum bewegten, ein wenig länger als gewohnt auf den Szenen ruhenden Einstellungen beschreiben den Alltag in der neuen Arbeitswelt unaufdringlich optimistisch. Auch wenn die matten Farben der auf 16 mm gedrehten Bilder auf die Stimmung drücken (man denkt an die frühen Arbeiten von Bruno Dumont): Pistone und Deroo geben ihrem Helden eine Chance. Er findet sich, trotz des etwas despektierlichen Kosenamens, in der Gemeinschaft aus Köchen und Kellnern gut zurecht und erweist sich als verlässliche Kraft. Ein Beispiel der Integration eines jungen Mannes, an dessen geducktem Habitus man die schwierigen Zeiten, die er nun allmählich hinter sich bringt, noch ablesen kann.

Mit der neu angestellten Kellnerin Audrey (Audrey Clement) beginnt sich Aureliens Dasein noch in anderer Hinsicht aufzuhellen. Die Annäherung der beiden ist wie der Gestus des Films insgesamt von einer rauen Zärtlichkeit. Doch genau darin wirkt er umso bewegender als so manche ähnlich gelagerte Erzählung von jungem Verliebtsein. Wie festgefroren scheinen sich die beiden in einer ruhigen Minute im Restaurant, unbemerkt von den anderen, zu küssen. Dass an Mouton immer noch der Makel des Außenseiters haftet, sieht man indes in einer der irritierenderen Szenen des Films, in der er von seinen Freunden, eher aus Ausgelassenheit, bespuckt wird.

So stimmig Mouton in seiner Beschreibung dieses Milieus auch wirkt, macht ihn jedoch erst ein radikaler Einschnitt zu einem der herausragenderen Erstlingsfilme dieses Jahres (in Locarno wurde er dafür ausgezeichnet). Bei einem Volksfest wird Aurelien ohne jede Motivation von einem Mann mit einer Motorsäge attackiert.

Es ein Akt reiner Willkür, der ausgerechnet jenen trifft, der sich im wahrsten Sinne des Wortes bewährt hat. Doch darum scheint es dem Regieduo ohnehin nur am Rande zu gehen. Aurelien, der überlebt, aber nicht mehr weiterarbeiten kann, verschwindet aus dem Film.

Wovon Mouton leise und dennoch wirkungsvoll erzählt, sind die Unwägbarkeiten des Lebens selbst. Nach einem Zwischentitel verharrt der Film in Courseulles-sur-Mer, statt seinem Helden an seinen neuen Ort zu folgen. Leute aus Moutons früherem Bekanntenkreis rücken ins Zentrum. Er selbst taucht nur noch wie ein Nachbild auf, eine Erinnerung, die einen bisweilen überfällt.

Es ist ein mutiger, richtiger Schritt, den Pistone und Deroo hier machen, da er auch gegen erzählerische Geschmeidigkeit gerichtet ist. Umso näher kommen sie mit ihrer Methode einer im wirklichen Leben viel öfter anzutreffenden Eigenheit: dem langsamen Vergessen, das auf die Brüche im Leben folgt. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 31.10.2013)