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Unsere Idealvorstellungen von Sterbebegeleitung, decken sich nicht zwangsläufig mit dem,...

Foto: APA/HARALD SCHNEIDER

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... was der oder die Sterbende wünscht.

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Kurz und schmerzlos sollte er sein, der Tod. Oder besser gesagt das Sterben. Einfach umfallen und aus - weg für immer. Nur sanft entschlafen wäre noch schöner, wenn möglich zu Hause im eigenen Bett. - Das zeigen die wenigen (kleinen) Studien, die bis dato im deutschsprachigen Raum über die Vorstellungen vom großen "Lassen-Können" erschienen sind. So wünschen sich laut einer Umfrage des Demoskopie-Instituts TNS-Emnid aus dem Jahr 2012 zwei Drittel der Deutschen ab 18 Jahren am liebsten "plötzlich und in guter gesundheitlicher Verfassung" aus dem Leben zu treten.

Die soziale Wirklichkeit sieht in den meisten Fällen freilich anders aus, denn in modernen Gesellschaften wurde das Sterben - nicht zuletzt durch den medizinischen Fortschritt - weitgehend institutionalisiert. Immerhin verabschieden sich rund drei Viertel der Österreicherinnen und Österreicher im Krankenhaus beziehungsweise im Pflege- oder Altenheim von dieser Welt. Nur etwa 27 Prozent sterben daheim. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Noch nie wurde der Mensch so alt wie heute und noch nie war der fachärztliche Duktus so stark davon geprägt, den Körper kreieren, gestalten und kontrollieren zu können. Der Mensch als eine Art Maschine, die "reparabel" ist und deren "Teile" gegebenenfalls "austauschbar" sind.

Preis der Moderne

Der deutsche Philosoph und Pädagoge Johannes Bilstein von der Kunstakademie Düsseldorf warnt jedoch davor, das Sterben im trauten Kreis der Angehörigen retrospektive zu romantisieren: "Wir tragen häufig Bilder in uns, die vermitteln, dass früher die Menschen in Anwesenheit der Großfamilie friedlich eingeschlafen wären. Wenn man sich aber beispielsweise die Beschreibungen Goethes über das Sterben seiner Frau Christiane vor Augen führt, dann wird einem bewusst, wie brutal das sein konnte. Das hat nichts Gemütliches mehr an sich - und deshalb sollten wir uns auch vor solchen nachträglichen Idyllisierungen retten", so der Erziehungswissenschaftler.

Für Bilstein zählt die Art und Weise wie und wo wir sterben zu den "Modernisierungskosten", die wir zwangsläufig tragen müssen. "Einerseits haben wir durch den medizinischen Fortschritt viel an Lebensjahren gewonnen, auf der anderen Seite gibt es aber auch Verluste - wie etwa diese Entfremdungserfahrungen", resümiert der Philosoph.

Diese Sichtweise kann die Gerontospsychologin und Sterbebegleiterin Petra Jenewein von der Caritas Tirol nicht ganz teilen, plädiert sie doch für eine neue "Kultur des Sterbens", die wieder mehr darauf abzielt "den Mut zu entwickeln, Sterben als Teil des Lebens und somit als natürlichen Prozess zu sehen, der in einem vertrauten Umfeld gut bewältigt werden kann". Neben der Ausweitung des (mobilen) palliativen Angebots fordert die Expertin vor allem von Angehörigen und Begleitenden, dem Sterbenden "die Regie zu überlassen". "Es geht in erster Linie darum zu respektieren, dass jeder individuell stirbt und diesen letzten Weg möglichst selbst bestimmt", meint Jenewein.

Dieses Unterfangen ist nicht leicht, müssen wir uns doch von der eigenen Idealvorstellung lösen, wie jemand diese Welt verlässt. "Am Anfang meiner Tätigkeit dachte ich mir, die beste Art einen Menschen auf seinem letzten Weg zu begleiten, ist am Bett zu sitzen und die Hand zu halten. - Ich durfte aber relativ bald lernen, dass dem nicht so ist, nachdem mir eine alte, sterbende Frau die Hand verweigert hat", erzählt die Gerontopsychologin.

Beschleunigungsfantasien

Um adäquat mit der eigenen Endlichkeit umgehen zu können, braucht es laut Jenewein vor allem das Gespräch über den Tod und eine bewusste Auseinandersetzung mit der Angst vorm Sterben. "Es exisitieren zwar massenhaft Angebote, die werdende Eltern auf die Geburt ihres Kindes vorbereiten, aber keine Sterbevorbereitungskurse", gibt die Caritas-Mitarbeiterin zu bedenken. Einen nicht unähnlichen Ansatz vertritt auch Johannes Bilstein: "Es mag vielleicht sinnvoll sein, sich mit 70, 80 oder 90 Jahren auf den Tod vorzubereiten, ein gelingendes Leben ist aber nur möglich, indem man sich sein ganzes Leben mit der eigenen Endlichkeit beschäftigt".

Zweifelsohne, der Tod ist unbequem und erzeugt Unbehagen. Die Sehnsucht nach einem schnellen, unkomplizierten Abgang kann aber auch als Symptom einer modernen Gesellschaft interpretiert werden, die das Sterben aus ihrem Bewusstsein verdrängt hat und primär die Beschleunigung als Antwort auf unsere Todesfurcht kennt. "Insgeheim weiß der Mensch, dass er sterben muss. Deshalb versucht er seinem Dasein so richtig Schwung zu verleihen, indem er so viel wie möglich in dieses Leben reinpackt. Doch genau diese Geschwindigkeit raubt uns das Leben", ist der Philosoph überzeugt.

Demnach ist Fortschritt unser neues Dogma, so wie wir einst an die Erlösung geglaubt haben. Das heißt, der Mensch darf nicht rasten, damit er nur ja nicht rostet. - Muss sich weiterentwickeln von Geburt an bis ins hohe Alter, wie uns das Konzept vom lebenslangen Lernen zu verstehen geben will. Als Gegenentwurf fordert Johannes Bilstein die Möglichkeit des "in-Ruhe-gelassen-Werdens": "So wie man Kinder auch mal in Ruhe lässt, sollte das auch auf die Erwachsenen zutreffen. Statt dessen dürfen auch die Alten nicht stillstehen, sondern müssen aktiv sowie progressiv sein und Computer- beziehungsweise Internetkurse absolvieren."

Genuss versus Dauer

Diese Rastlosigkeit verstellt den Blick auf das eigene Leben und kann in dem Gefühl münden, das Leben noch nicht in seiner ganzen Fülle erfasst zu haben oder wie es der österreichische Psychotherapeut Alfried Längle von der Uni Klagenfurt formuliert: "Der Tod erhält seinen Schrecken dadurch, dass man spürt, noch gar nicht wirklich gelebt zu haben." Wie kommt Mensch aber nun zu einem "gelungenen" Leben? Es geht darum, die richtige Balance zwischen Gegenwart und Zukunft zu finden. "Wir sollten den Augenblick genießen, aber auch die Dauer im Blick haben. Oder psychoanalytisch gesprochen: Wir brauchen ein ausgewogenes Verhältnis von Triebbefriedigung und Sublimation", meint Johannes Bilstein.

Die Angst vor dem Sterben verschwindet dadurch zwar nicht, aber nur so ist sie laut Petra Jenewein veränderbar. "Das Verweilen im Hier und Jetzt rückt viele Bereiche im Leben wieder zurecht - etwa die materialistischen Dinge, die uns alle antreiben und die auch nicht weggeleugnet werden sollen - denn das Innehalten schafft die Möglichkeit, den Fokus darauf zu richten, was mir in meinem Leben wirklich wichtig ist." Demnach brauchen wir weniger eine neue Kultur des Sterbens, sondern vielmehr eine neue Kultur des Lebens. (Günther Brandstetter, derStandard.at, 1.11.2013)