Elizabeth Taylor, "Versteckspiel", Roman, aus dem Englischen von Bettina Abarbanell, € 24,60/ 384 Seiten, Dörlemann-Verlag, Zürich 2013

Cover: Dörlemann Verlag

Der Name stiftet Verwirrung. Denn Berühmtheit hat nicht die Schriftstellerin Elizabeth Taylor erlangt, sondern die Hollywood-Diva, die ebenso heißt. Das war 1951, zur selben Zeit, als A Game of Hide and Seek erschien, jener fünfte Roman der Engländerin, der nun, nach mehr als sechzig Jahren, unter dem Titel Versteckspiel zum ersten Mal auf Deutsch erschienen ist. Und der eine solche Entdeckung ist, dass man sich fortan den Autorennamen Elizabeth Taylor unbedingt wird merken müssen.

Eindringende Erzählkunst

Weit ausholende Romane haben es an sich, dass man ihnen mehr Zeit und Aufmerksamkeit widmet, als heutiger Hetze geschuldet sein mag. Aber die Geduld lohnt sich: Die Schriftstellerin Elizabeth Taylor ist die feinsinnige Meisterin einer auf unaufdringliche Weise immer tiefer in die Wirrungen der menschlichen Gefühle eindringenden Erzählkunst, die sich zugleich nuancenreich auf scharf umrissene Figurenzeichnungen und auf stimmungsstarke Milieuschilderungen versteht.

Großspuriges Dandytum

Im Mittelpunkt ihres das weibliche Provinzleben dreier Generationen in der Grafschaft Buckinghamshire umspannenden Romans steht die verspielte Jugendliebe eines Außenseiterpärchens. Das Mauerblümchen Harriet verzehrt sich in all ihrer Schüchternheit vor Sehnsucht nach dem unerreichbaren Mädchenschwarm Vesey, der von einer Schriftstellerkarriere träumt und sich doch in Wahrheit nur in ebenso gebildetem wie großspurigem Dandytum hervortut. Als er zum Studium nach Oxford aufbricht, bleibt Harriet enttäuscht zurück und wartet vergeblich auf Liebesbriefe von Vesey. Schließlich resigniert sie und heiratet einen braven Biedermann aus ihrem Landstädtchen.

Ihre Mutter Lilian sowie Tante Caroline hatten einst als Suffragetten für das Wahlrecht gekämpft und sich dafür sogar ins Gefängnis abführen lassen. Doch für Harriet, die von Lilian ziemlich lieblos erzogen wurde, ist solch selbstverliebte Heldinnenpose im Nachhinein nur mehr ein Ärgernis, das die Generationen trennt.

Enttäuscht von ihrem Jugendschwarm, fügt sie sich erschreckend duldsam in ein Eheleben voll provinziellem Mittelklassemief - bis nach Jahren dieser Vesey auf ein Mal wieder in ihr Leben tritt und das unterbrochene Versteckspiel ihrer Zuneigung aufs Neue beginnt.

Für Harriet wird vorübergehend sogar eine Amour fou daraus: "Sie spürte ihr Verlangen nach ihm bis in die Fußsohlen und Handflächen hinein, allen Umständen der Zeit und des Ortes zum Trotz, sodass sie ihre Arme nicht von ihm lösen konnte und glaubte, ihre Nerven würden eine Trennung nicht aushalten. Sie war genauso besessen von ihm, wie sie es als junges Mädchen gewesen war."

Kränkelnder Mime

Indes, aus der einst sprühenden Zukunftsrakete Vesey ist mittlerweile ein ausgebrannter Darsteller kleiner Rollen in Tourneetheatern geworden, und die heimlichen Treffen mit dem kränkelnden Mimen im nebeligen London sind ebenso klägliche wie glänzend geschilderte Anbahnungen einer lebenslangen Liebesenttäuschung.

Wie schon in dem Roman Blick auf den Hafen, mit dem der Zürcher Dörlemann-Verlag die Erzählerin Taylor vor zwei Jahren der deutschsprachigen Leserschaft eindrucksvoll vorstellte, steht auch hier die einfühlsame Romanstudie eines Frauenschicksals zwischen Ehe und Sehnsucht, Enge und Wunschtraum, Konvention und Glückserwartung im Mittelpunkt.

Erzählt wird nichts weniger als die Geschichte eines Scheiterns emanzipatorischer Selbstbefreiung unter dem Unstern von Krieg und Nachkriegszeit. Zwar könnte das Buch auch heißen: Emma Bovary in England, 1950. Elizabeth Taylor hat genügend Anspielungen auf den großen französischen Kollegen in ihr Werk eingebaut.

Doch ihre Harriet ist viel zu skrupulös, viel zu wenig versponnen, um sich wie Flauberts Romantikerin einer selbstzerstörerischen Liebesverzückung auszuliefern. Vielmehr geht sie in ihrer Sehnsucht nach Selbstverwirklichung nur bis an den Rand des bürgerlichen Abgrunds - um danach ernüchtert in ihr abgestandenes Alltagsleben zurückzukehren. Das Versteckspiel schließt auch ihr Selbst ein.

Die 1912 geborene Autorin kannte den Kleinstadt-Stillstand aus eigenem Erleben. An der Seite ihres Mannes lebte sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1975 unauffällig in der englischen Provinz und erreichte, fern von den Londoner Literaturzirkeln, zeitlebens kaum nennenswerte Bekanntheit. Man gewinnt den Eindruck, dass da eine begabte Frau mit großer literarischer Bildung und noch viel größerem Erzähltalent von ihrem Ingenium dazu gedrängt worden sei, ihrer überwältigenden Menschen- und Weltkenntnis wider alle auferlegten Bürden als Hausfrau und Mutter Ausdruck zu verschaffen. Die Souveränität, mit der sie ihre irisierende Prosa einzusetzen vermochte, hat ihr posthum zu Recht den Ehrentitel einer "Jane Austen des Nachkriegsenglands" eingetragen. (Oliver vom Hove, Album, DER STANDARD, 2./3.11.2013)