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"Räte raten – dass ihr Rat häufig ausgeschlagen wird, gehört zur Normalität in der politischen Welt", sagt Jürgen Mittelstraß, Vorsitzender des Wissenschaftsrats.

Foto: APA/Gindl

Deutschland hat es vorgemacht: Mittels "Exzellenzinitiative" wurden für die Jahre 2006 bis 2017 insgesamt 4,6 Milliarden Euro in die besten Unis gepumpt. So etwas brauche auch Österreich, sagt der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, der Konstanzer Philosoph Jürgen Mittelstraß, im STANDARD-Interview: "Damit sie wirklich greift, müssten über mindestens zehn Jahre hinweg jährlich ca. 100 Millionen Euro zusätzlich in das Wissenschaftssystem fließen." Er warnt zudem dringend davor, das Wissenschaftsministerium, das für Unis und Forschung zuständig ist, zu zerschlagen: "Das wäre so etwas wie institutioneller Selbstmord."

STANDARD: Der gesetzliche Auftrag des Wissenschaftsrates ist es, Nationalrat, Landtage, Minister und Unis zu beraten. Raten Sie den Koalitionsverhandlern, das Wissenschaftsministerium einzusparen?

Mittelstraß: Wissenschaft und Forschung gehören zum Kern der Leistungsfähigkeit einer modernen Gesellschaft. Dem auf Regierungsebene nicht mit einem zen­tralen Wissenschaftsministerium zu entsprechen wäre so etwas wie institutioneller Selbstmord.

STANDARD: Es halten sich aber hartnäckig Gerüchte, dass die Agenden des Wissenschaftsministeriums aufgeteilt und von anderen Ressorts "geschluckt" werden könnten. Was hielten Sie davon?

Mittelstraß: Es würde die Marginalisierung der Wissenschaft bedeuten und zudem noch die Zuständigkeiten für Forschung und forschungsnahe Lehre auseinanderreißen. Im Übrigen ist es bedrückend, ansehen zu müssen, wie die wichtigsten Dinge für die Zukunft eines Landes zum reinen Gegenstand eines politischen Proporz- und Versorgungsdenkens zu werden drohen.

STANDARD: Deutschland hat mittels "Exzellenzinitiative" für die Jahre 2006 bis 2017 insgesamt 4,6 Milliarden Euro ins Unisystem fließen lassen. Würden Sie so etwas auch in Österreich empfehlen? Wie viel Geld müsste man – natürlich hochkompetitiv – ins System pumpen?

Mittelstraß: Auch Österreich braucht eine Exzellenzinitiative. Damit sie wirklich greift, müssten über mindestens zehn Jahre hinweg jährlich ca. 100 Millionen Euro zusätzlich in das Wissenschaftssystem fließen.

STANDARD: Wie viele echte Top-Unis, die in der Weltklasse mitspielen können, kann bzw. soll ein kleines Land wie Österreich überhaupt haben und auch entsprechend finanzieren? Es ist ja unrealistisch, dass das alle 21 Unis sein könnten.

Mittelstraß: Keine Universität dieser Welt ist in allen Bereichen top. Es kommt darauf an, bestehende Exzellenz – und die gibt es in der österreichischen Wissenschaft reichlich – zu fördern. Immerhin gibt es einen Top-Standort, nämlich Wien mit seinen zahlreichen Wissenschaftseinrichtungen. Die sollten in ihrer Arbeit und in ihren Strukturen besser zusammenfinden, um gemeinsam eine Top-Einrichtung zu bilden.

STANDARD: In welchem Zustand sind die österreichischen Unis? Sie sollten ja das vitale Zentrum eines Wissenschaftssystems sein.

Mittelstraß: Sie sind auf einem guten Wege. Und sie würden ihre Aufgabe, Kern eines Wissenschaftssystems zu sein, noch wesentlich besser erfüllen, wenn die Rahmenbedingungen – finanzielle und institutionelle – entsprechend wären. Sie sind es nicht.

STANDARD: Welche Reformen muss die neue Regierung im Wissenschaftsbereich vorrangig angehen?

Mittelstraß: Aufhebung der chronischen Unterfinanzierung der Universitäten und Einführung einer Studienplatzbewirtschaftung und flächendeckender Zulassungsregelungen. Nur mit diesen Reformen hätte Österreich die Chance, zu den besten Wissenschaftsplätzen, in denen das alles schon realisiert ist, aufzuschließen.

STANDARD: Was war das größte Versagen der alten Regierung?

Mittelstraß: Das Hickhack um die Studiengebühren und die Verlagerung von Hochschulagenden in die Höchstgerichte.

STANDARD: Welchen Sinn hat der Wissenschaftsrat eigentlich, wenn seine Empfehlungen so gut wie nie ernst genommen werden? Die Medizin-Fakultät Linz kommt, obwohl Sie dagegen waren, die Donau-Uni darf bald Doktortitel verleihen. Da waren die Wünsche der Landeshauptmänner wichtiger als Ihr Rat.

Mittelstraß: Räte raten – dass ihr Rat häufig ausgeschlagen wird, gehört zur Normalität in der politischen Welt. Die Beispiele Linz und Krems sind deshalb so deprimierend, weil man hier nicht einmal bereit war, die Stimme der Wissenschaft und des Wissenschaftsrats zu hören. Wenn sich Landeshauptleute an die Stelle der wissenschaftlichen Expertise setzen, ist das in hohem Maße beunruhigend für die wissenschaftliche Entwicklung. (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 2.11.2013)