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Von nun an verhüllt im Plenum: Gönül Bekin Şahkulubey, eine von vier AKP-Abgeordneten, die sich dazu entschlossen.

Foto: Reuters/Bektas

Der Eklat blieb aus. Männer dürfen nicht länger mit religiöser Kleidung Politik machen, sagten Frauen aller Fraktionen.

"Teilt dieser Frau ihre Grenzen mit" , sagte der Premier, "das hier ist nicht der Ort, um den Staat herauszufordern."  14 Jahre ist das her. Unter "Hinaus! Hinaus!" -Rufen trieben die türkischen Abgeordnetenmänner ihre Kollegin Merve Kavakçi aus dem Plenum, wie es ihnen der damalige Regierungschef, der Sozialdemokrat und Nationalist Bülent Ecevit, aufgetragen hatte. Kavakçi, Abgeordnete einer islamistischen Partei, hatte 1999 gewagt, ein Kopftuch aufzusetzen. Es war ein Tiefpunkt in der Geschichte des türkischen Parlaments.

Allen Drohungen der Opposition zum Trotz wiederholte sich der Vorfall diese Woche in Ankara nicht. Vier Parlamentarierinnen der konservativ-muslimischen Regierungspartei AKP hatten angekündigt, mit Kopftuch ins Plenum zu kommen. Sie hätten sich nach einer Pilgerreise der Abgeordneten nach Mekka im Oktober dazu entschlossen, sagten sie.

Säkulare Republik

Donnerstag, 14 Uhr. Zum Sitzungsbeginn starrte die Türkei auf die Bildschirme. "Wir werden alles in unserer Macht liegende tun, um das zu verhindern" , hatte Faruk Logoglu, ein Vize-Chef der sozialdemokratischen Oppositionspartei CHP und langjähriger Botschafter, die vier Frauen gewarnt. Die Türkei sei laut Verfassung immer noch eine säkulare Republik. Doch dann verzichtete die Opposition im Plenum auf einen neuerlichen Eklat. "Ein Sieg des Volks" , titelte das islamische Boulevardblatt Yeni Şafak am Freitag; ein Großteil der Medien – auch der regierungskritischen – zeigte sich zufrieden über die friedliche, knapp einstündige Debatte im Parlament nach dem Einzug der Kopftuchfrauen. "Das Parlament hat sich selbst überwunden" , lautete die Titelzeile der liberalen Tageszeitung Taraf.

Frauen am Rednerpult

Die vier Fraktionen im türkischen Parlament schickten jeweils eine Rednerin ans Pult. Die Botschaft der Frauen von AKP, CHP, der rechtsnationalistischen MHP und der Kurdenpartei BDP lautete ähnlich: Männer, mischt euch nicht länger in unsere Kleidungsfragen ein! Von nun an werde hoffentlich die Politik, die den Frauen Vorschriften mache, der Vergangenheit angehören, sagte eine Vertreterin der AKP. Die vier Kopftuchfrauen selbst – Gülay Samanci, Sevde Kacar, Gönül Bekin und Nurcan Dalbudak – ergriffen nicht das Wort. Sie fielen auch in der Vergangenheit kaum in der stark hierarchisch organisierten Fraktion auf und sprachen bisher nur einmal im Jahr im Plenum.

Dies war auch ein Argument, das Oppositionsführer Kemal Kiliçdaroglu anführte, um jene in seine Partei zu beschwichtigen, die einen neuen Proteststurm gegen Frauen mit muslimischem Kopftuch entfachen wollten: Die CHP werde nicht in diese Falle gehen und der Regierung von Tayyip Erdogan die Chance geben, sich wieder als Opfer der Säkularen darzustellen, sagte er in einer Fraktionssitzung. In einer viel beachteten Rede, die auch von Vizepremier Bülent Arinç gelobt wurde, rief die CHP-Abgeordnete Şafak Pavey zum Respekt vor Frauen auf, die nicht das Kopftuch tragen. Sie habe die diffamierende Äußerung gelesen: "Ich werde nicht mehr schmutzig, in dem ich mein Haar entblöße" , sagte Pavey. "Sind diejenigen, die sich nicht verschleiern, etwa schmutzig? Wer kann es wagen, jemanden aufgrund seiner Einstellung als schmutzig zu bezeichnen?"

Im Vormonat hatte die türkische Regierung per Dekret das Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst mit Ausnahme bei Gericht und in der Polizei aufgehoben. Die Geschäftsordnung des türkischen Parlaments schreibt weiblichen Abgeordneten das Tragen von Rock oder Kleid vor, macht aber keine Angaben zu religiösen Kleidungsstücken. Noch 2007 gab es in der Türkei landesweit Massenproteste säkularer Wähler, als die Regierung Erdogan versuchte, das Kopftuchverbot durch ein Gesetz abzuschaffen.  (Markus Bernath aus Istanbul /DER STANDARD, 2.11.2013)