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Bei der ­Überreichung einer Whistleblower-Medaille hat Thomas Drake ­seinen "Nachfolger" ­Edward Snowden in ­Moskau getroffen. Der junge Mann habe von ihm gelernt, sagt er.

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Thomas Drake läuft, als habe er einen Stock verschluckt, kerzengerade. Man merkt ihm an, wie viele Jahre er beim Militär verbrachte. Smalltalk hält der Mann, der jüngst im Profil davon sprach, dass auch in Österreich Kommunikation flächendeckend durch die NSA überwacht werde, für Zeitverschwendung. Im Gespräch kommt er sofort zur Sache.

Bisweilen wird er sarkastisch, zum Beispiel, wenn er aufführt, wie naiv manche Zeitgenossen seien. Leute etwa, die sagen, sie hätten nichts zu verbergen, weshalb ihnen herzlich egal sei, ob Big Brother mithöre. "Okay, dann gib mir deinen Autoschlüssel, deinen Wohnungsschlüssel, deine Kontoauszüge, deine Krankenakte, deine Passwörter. Ich werfe alles in den Briefkasten eines wildfremden Menschen, und der wird es für dich aufbewahren."

Niemand lasse sich auf so etwas ein. Wieso sollte man dann der Regierung Zugriff auf intime Daten gestatten? Einen Einblick in die Privatsphäre, die Freiheitsideale der amerikanischen Revolution auf den Kopf stelle. Die Revolution: ein Stichwort, das der 56-Jährige häufig benutzt.

1979, mitten im Kalten Krieg, ging er zur Air Force. Ausgebildet zum Kryptoanalytiker, fliegt er Missionen über Mitteleuropa. Er soll die Funksprüche des Warschauer Pakts aufzeichnen, sein Spezialgebiet wird die DDR. Nach zehn Jahren bei der Luftwaffe wechselt er ins Beratergeschäft, später hilft er der National Security Agency, Schwachstellen ihrer Abhörsoftware aufzuspüren. Die NSA lernt ihn zu schätzen, sie stellt ihn fest ein. An seinem ersten Tag als Beamter krachen entführte Flugzeuge in die New Yorker Zwillingstürme.

Die Bilder des 11. September 2001 schockieren auch Drake, er will Terroristen auf die Schliche kommen und legt sich intern ins Zeug für ein Programm namens Thin Thread, übersetzt: dünner Faden. Es soll nur das aus dem Datenmeer herausfiltern, was gebraucht wird zur Terrorbekämpfung. Michael Hayden, der damalige NSA-Direktor, entscheidet sich jedoch für die Entwicklung einer teureren Alternative namens Trailblazer. In der Folge beginnt die NSA alles an Daten zu horten, was sie nur bunkern kann, auch Amerikaner werden abgehört. Drake sieht die Regel verletzt, nach der er im Kalten Krieg handelte: Sobald ein Amerikaner ins Visier gerät, muss die Aufnahme beendet werden.

Tipps unter Pseudonym

Als sich Drake bei seinen Vorgesetzten beschwert, wird er im Kreis geschickt, später bekommt er den Rat, sich zu fügen. Nach vielen Anläufen wird ihm klar, dass er gegen Wände rennt. Er wendet sich 2005 an die Journalistin Siobhan Gorman von der Baltimore Sun. Unter dem Pseudonym "The Shadow Knows"  gibt er ihr Tipps, keine Geheimdokumente, dazu ist er zu diszipliniert.

Als Fahnder nach der undichten Stelle suchen, fällt der Verdacht auf ihn. Im November 2007 klingeln FBI-Leuten an seiner Tür: Er wird verdächtigt, ein Staatsfeind zu sein. Vor Gericht stellt sich heraus, dass der NSA-Mann der Presse keinerlei geheime Informationen zuspielte, die die nationale Sicherheit gefährdet hätten. Wegen unbefugter Benutzung eines Dienstcomputers wird er zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt.

Im Oktober war er in Moskau, um Edward Snowden eine Whistleblower-Medaille zu überreichen. Der junge Mann, meint er nachdenklich, habe gelernt aus dem Kapitel Drake. Snowden habe begriffen, dass es mehr bringe, wenn man rasch an die Öffentlichkeit gehe, statt innerhalb des Systems zu opponieren. Kompromisslos fordert Drake einen Sonderausschuss, um die Geheimdienste unter die Lupe zu nehmen. Bis ganz nach oben müsse geforscht werden, bis ins Weiße Haus. Dass Barack Obama nichts gewusst haben soll, kann sich der Exoffizier nicht vorstellen. Nicht bei diesem Präsidenten, der sich akribisch um Details kümmere, der immer dienstags abzeichne, welcher Terrorverdächtige von Drohnen ins Fadenkreuz genommen werden soll. "Obama ist keiner, der andere machen lässt, er ist ein Mikromanager. Falls er wirklich nichts wusste, warum werden dann nicht Leute gefeuert?"   (Frank Herrmann aus Washington  /DER STANDARD, 4.11.2013)