Gefundene Bilder, erfundene Geschichte(n): Miguel Gomes' neue, halbstündige Arbeit "Redemption".

Foto: viennale

Dem Portugiesen Miguel Gomes gelang 2012 mit Tabu, seiner von Melancholie durchwirkten und trotzdem lakonischen Reminiszenz an portugiesische Kolonialvergangenheit, eine der markantesten und bleibendsten Arbeiten des Kinojahres. Bei der Viennale war er damals außerdem als Kurator des Specials für seinen Landsmann und Vorläufer Manuel Mozos höchst präsent. (2008 war Gomes selbst eine Werkschau in Wien gewidmet.)

2013 fällt Gomes' Beitrag auf den ersten Blick etwas bescheidener aus. Redemption (Erlösung) ist eine knapp halbstündige Arbeit, ein Found-Footage-Film, die Montage "gefundenen" historischen Bildmaterials, welches Gomes durch Off-Stimmen in einen neuen Kontext setzt.

In vier Episoden verlesen anonyme Schreiber - drei Männer, eine Frau - jeweils einen Brief. Sie beschwören die Vergangenheit (in Anekdoten) und blicken in die Zukunft. Dazu sind unter anderem Aufnahmen von Tieren und Kindern, von Folklore und alten Riten gestellt. Zwischen der Bild- und der Tonebene ergeben sich jene flüchtigen Berührungspunkte, bei denen man nicht weiß, ob sie ursächlich vorhanden sind, absichtsvoll gesetzt wurden oder ob sie sich rein der individuellen Lektürearbeit verdanken. Jedenfalls erweist sich Redemption als Sammlung kühn behaupteter Home-Movies und als ausgefuchstes Spiel mit der europäischen Gegenwart. Geschichtsfälschung, die mögliche Wahrheiten enthält.

Neben Redemption stellt die in Lissabon ansässige Produktions- firma O som e a fúria auf der Viennale zwei weitere kurze Arbeiten vor: O-som-Gründer Sandro Aguilar montiert in Jewels Aufnahmen präparierter (beziehungsweise fotografierter) Insekten zu mechanischen Stimmen, die ausführlich über das Phänomen der Dormanzphase referieren, einer vor allem bei dieser Spezies verbreiteten Überlebensstrategie.

Verzagter Held

Rei inútil von Telmo Churro hingegen ist eine tragikomische Erzählminiatur: Das Debüt des Cutters (u. a. von Tabu) begleitet seinen Helden, einen jungen Mann, der etwas verzagt aus seiner Kapuzenjacke blickt, in weit gefassten, klar kadrierten Bildern durch eine kurze Zeitspanne, in der sich Entscheidendes ereignet: Schon zum dritten Mal versucht Tiago die Schule abzuschließen - selbst Gott und ein Wiedergänger aus der portugiesischen Vergangenheit werden zur Verstärkung aufgerufen. Manuel Mozos hat hier einen kleinen Auftritt als Geschichtelehrer. Er rät Tiago, es vielleicht lieber mit einer Handwerkerausbildung zu versuchen, Tischler, Elektriker oder Koch zu werden.

Hinter gutgemeinten Ratschlägen wie diesem mag man durchaus eine Bezugnahme auf die portugiesische Gegenwart und die für Film- und Kulturschaffende dort nicht unbedingt günstige Lage sehen. Von Miguel Gomes ist immerhin bekannt, dass er bereits einen nächsten Langfilm mit dem Titel As mil e uma noites (Arabian Nights) vorbereitet. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 5.11.2013)