Sängerin und Big-Band-Leaderin Monika Roscher.

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Berlin im November: grauer Himmel, nasskalte Straßen, mitunter brauner Blätterregen in den Alleen. Der Herbst hat die Hauptstadt fest im Griff. Die Berliner selbst lassen sich's nicht vermiesen, trotzen den Unbilden der Witterung zumindest im noblen Wilmersdorf, in den Seitenstraßen des Kurfürstendamms, in Straßencafés und Biergärten.

Ein paar Schritte weiter, im Haus der Berliner Festspiele in der Schaperstraße, tänzelt ein bunter Paradiesvogel auf die Bühne: Eine junge Frau mit schwarzer Maske und Kimono-artigem Kleid erzählt dort Geschichten vom Irrlicht, das im Wald Schabernack mit einem Reiter treibt, oder einem Gorilla, der durchs Gehölz bricht und alles kurz und klein schlägt. Mit Arme und Beine umfassendem Körpereinsatz animiert sie das um sie gruppierte Orchester, jene Bilder in beeindruckend farbenreiche Töne zu übertragen.

Wuchtige Bigband-Klänge sind es, die sich da in kontrapunktischen Steigerungen auftürmen, Vehemenz entwickeln, und oft jäh abbrechen und den Blick freigeben auf lyrische Klangfelder oder den Gesang jener Person, um die sich alles dreht: Monika Roscher, die 29-jährige Münchner Sängerin, Gitarristin und Bigband-Leiterin verhalf dem Jazzfest Berlin zu einem heftig akklamierten Höhepunkt, indem sie nonchalant komplexe Bläsersätze, Indie-Rock-Sounds und Songwirting ineinander verschränkte.

Die Gesamtsicht

Auch sonst scheinen zurzeit bei Deutschlands altehrwürdigem, 1964 gegründetem Jazzfestival Dinge zusammenzuwachsen, die zusammengehören. Seit 2012 liegt die Leitung in Händen des Musikjournalisten Bert Noglik: "Ich habe keine Ost-West-Sicht mehr, aber ich glaube, es gab manchmal auch eine begrenzte West-Sicht. Ich möchte versuchen, eine Gesamtsicht zu entwickeln", so beantwortet er die Frage nach der Relevanz seiner Herkunft aus dem ehemaligen Ostdeutschland. Die frei improvisierte Musik, die Noglik als Publizist lange Jahre fokussierte, gelte es zudem, "in das große Ganze zu integrieren. Ich komme aus dieser Musik, aber sie ist nur ein Ausschnitt aus der großen Welt des Jazz."

Also entwarf Noglik ein gut ausbalanciertes Programm-Kaleidoskop, das Relevantes bot. Mit dem Saxofonisten Ernst-Ludwig Petrowsky sah sich in der Akademie der Künste eine der Legenden der einstigen DDR-Avantgarde in einem Schwerpunkt gefeiert. In Gestalt von John Scofields blendend disponiertem "Überjam Deux"-Projekt und Jack DeJohnettes Quartett waren echte Headliner vertreten - zu denen auch die nur in Momenten musikalisch glückende Erstbegegnung von Pianist Joachim Kühn und Saxofonist Pharoah Sanders zu zählen war.

Überraschungen bot das Jazzfest, das erneut auch die Clubs A-Trane und Quasimodo bespielte, vor allem in Bezug auf Jüngere: Etwa im Hinblick auf den US-Schlagzeuger Jaimeo Brown, der mit Quartett ein schlüssiges Set choreografierte, in dem Samples historischer Gospelaufnahmen übermalt wurden und Saxofonist JD Allen für hitzige Solohöhepunkte sorgte. Und: Deutschlands Pianisten-Shootingstar Michael Wollny ließ im "Wunderkammer XXL"-Projekt mit Tamara Halperin (Cembalo, Celesta) die Klänge diverser Tasteninstrumente in repetitiven Strukturen funkeln und schillern, sanft eingefasst in die Bläsersätze der Big Band des Hessischen Rundfunks. (Andreas Felber, DER STANDARD, 5.11.2013)