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Das Internet hebt die Grenzen auf. Das fordert nicht nur den Menschen, sondern auch die Judikative heraus.

Foto: ap/meyer

"Das Internet kennt keine territorialen Beschränkungen. Dort ist kein Dort. Das Dort im Internet ist überall, wo es Zugang zum Internet gibt", philosophierte US-Bundesrichterin Nancy Gertner bereits in einem Urteil 1997. Es liegt in der Natur des World Wide Web, dass sich online begangene Rechtsverletzungen an verschiedensten Orten ereignen und auswirken können. Welche Gerichte dann bei grenzüberschreitenden Sachverhalten für Rechtsstreitigkeiten zuständig sind, beschäftigt Richter weltweit seit Jahren.

Jedenfalls in der EU gilt zunächst die Grundregel, dass ein Beklagter mit (Wohn-)Sitz in einem anderen EU-Mitgliedsstaat vor den Gerichten seines Heimatstaats geklagt werden muss. Ansprüche aus unerlaubten Handlungen können aber auch dort eingeklagt werden, wo ein schädigendes Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Darunter versteht der Europäische Gerichtshof sowohl den Handlungsort als auch den Ort des Schadenseintritts. Wo diese Deliktsorte im Cyberspace zu finden sind, war auf europäischer Ebene seit Jahren umstritten. Vor allem ging es um die Frage, ob eine Website stets auf ein Zielpublikum in einem Mitgliedsstaat (z. B. durch Aufmachung und Sprache) ausgerichtet sein muss, um eine Gerichtszuständigkeit zu begründen, oder ob deren bloße Abrufbarkeit im Gerichtsstaat genügt.

Zwölf Songs auf CD

In einer aktuellen Entscheidung (C-170/12, Pinckney) hat der EuGH dies am 3. Oktober für Urheberrechtsverletzungen klargestellt. Ein in Frankreich wohnhafter englischer Musiker klagte dort ein österreichisches Unternehmen auf Schadenersatz, weil es ohne seine Erlaubnis zwölf seiner Songs auf CDs gepresst habe. Grundlage für die Zuständigkeit der Klage in Frankreich sollte die (naturgemäß) auch in Frankreich mögliche Abrufbarkeit britischer Websites sein, die die CDs anboten.

Der EuGH folgte diesem Standpunkt. Neben dem Sitzstaat des Beklagten seien auch die Gerichte aller EU-Mitgliedstaaten zuständig, in denen die behaupteten Vermögensrechte des Urhebers geschützt sind und sich ein Schaden zu verwirklichen droht. Dazu genüge die im Sprengel des angerufenen Gerichts mögliche Abrufbarkeit rechtsverletzender Websites. Während aber am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten alle Schäden eingeklagt werden können, ist an sonstigen Gerichtsorten die klagbare Schadenshöhe grundsätzlich auf den im jeweiligen Hoheitsgebiet des angerufenen Gerichts entstandenen Schaden begrenzt. Anders als im (vor-) vertraglichen Geschäftsverkehr mit Verbrauchern kommt es nach dem EuGH daher im Deliktsbereich nicht auf eine inhaltliche Ausrichtung einer Website auf den Gerichtsstaat an.

Der Zugang entscheidet

Eingeleitet hat der EuGH diese Judikatur 2011, als er erstmals zur Gerichtszuständigkeit bei Online-Verletzungen von Persönlichkeitsrechten (z. B. Kreditschädigungen und Beleidigungen) entschied (C-509/09 und C-161/10, eDate Advertising und Martinez). Danach kann eine Haftungsklage wegen Cyberverletzungen von Persönlichkeitsrechten vor den Gerichten jedes EU-Mitgliedsstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet der Inhalt zugänglich ist oder war.

Grundsätzlich sind diese Gerichte (nur) für den Schaden zuständig sind, der in ihrem Hoheitsgebiet verursacht wurde. Den gesamten in der EU erlittenen Schaden kann das Opfer von Ehrverletzungen aber nicht nur dort einklagen, wo der Beklagte seinen Sitz hat, sondern wahlweise beim zuständigen Gericht des Mitgliedsstaates, in dem der Beklagte den "Mittelpunkt seiner Lebensinteressen" hat.

Der Kläger hat die Wahl

Auch bei Markenrechtsverletzungen im Internet genügt dem EuGH die Abrufbarkeit im Gerichtsstaat, wenn dort die Marke registriert ist (C-523/10, Wintersteiger). Damit hat ein online verletzter Markeninhaber die Wahl, im Registrierungsstaat oder dort zu klagen, wo der Markenrechtsverletzer niedergelassen ist.

Damit offenbart sich, dass der Ort der Verwirklichung eines möglichen Schadens von der Natur des verletzten Rechts abhängt. Voraussetzung ist jedenfalls, dass das vom Kläger behauptete Recht im Gerichtsstaat geschützt ist. Allerdings bedeutet die Begründung eines Gerichtsstands noch nicht, dass einer Klage im Gerichtsstaat auch inhaltliche Berechtigung zukommt. Diesbezüglich kommt es dann auch auf den konkreten Inhalt der betreffenden Website an.

Auch Poster betroffen

Da der EuGH für die Zuständigkeitsfrage bei diesen Deliktsklagen aber keine Ausrichtung einer Website auf einen bestimmten EU-Mitgliedsstaat fordert, steigt die Zahl möglicher Gerichtsstaaten - jedenfalls bei Fällen mit Unionsbezug. In internationalen Fällen, die Beklagte außerhalb der EU involvieren, bleibt vieles weiterhin unberechenbar. Fest steht aber, dass private wie kommerzielle Websitebetreiber und Poster durch Aktivitäten im weltweiten Netz vermehrt auch im Ausland in Prozesse verwickelt werden könnten. Umgekehrt aber kann in solchen Fällen auch Österreichern der Weg vor ausländische Gerichte erspart bleiben. (Ivo Rungg, Martin Walser, DER STANDARD, 6.11.2013)