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Große Pharmafirmen entwickeln immer mehr proteinbasierte Kopien von Medikamenten.

Foto: APA/Matthias Hiekel

Der Angriff erfolgt mit höchster Präzision. Die winzige Sonde wurde perfekt für ihre Aufgabe konzipiert. Es ist ein künstlicher Antikörper, ein hochkomplexes Proteinmolekül, das Wissenschafter auf den Namen Rituximab getauft haben. Sein Ziel ist ein B-Lymphozyt. Die Zelle treibt mit unzähligen anderen ihresgleichen im Blut eines Leukämiepatienten. Der Antikörper nähert sich der Zelloberfläche und hängt sich dort an eine Art molekulare Antenne.

Die Folgen sind enorm. Die Anheftung löst eine biochemische Kettenreaktion aus, in deren Verlauf sich die attackierte Zelle selbst auflöst: Apoptose. Für den Kranken indes bedeutet die Vernichtung von überschüssigen B-Lymphozyten Linderung.

Rasch wachsende Familie

Substanzen wie Rituximab gehören zu der rasch wachsenden Familie der sogenannten Biologika - medizinische Wirkstoffe, die mithilfe von rekombinierter DNA in lebendigen Zellen hergestellt werden. Es sind komplexe Proteinmoleküle, deren dreidimensionale Struktur nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip eine spezifische Interaktion mit anderen molekularen Gebilden ermöglicht. Für die Produktion von Biologika-Proteinen wird zunächst ein genetischer Bauplan in Form von künstlicher DNA fabriziert. Diesen Code schleust man anschließend in Bakterien, Hefepilze oder kultivierte Säugerzellen ein.

Die winzigen Helferlein synthetisieren daraufhin das gewünschte Eiweißmolekül. Der Mensch macht sich diese zelluläre Proteinmaschinerie zunutze.

Die Entwicklung von Biologika ist ein sehr aufwändiger Prozess. Pharmaunternehmen müssen riesige Summen für Forschung und Testverfahren investieren. Auch die serienmäßige Produktion ist überaus kostenintensiv, und somit gehören die Spezialproteine zu den teuersten Medikamenten überhaupt. Die Patente für Arzneimittel sind indes nur zeitlich begrenzt gültig. Nach Ablauf dürfen andere Hersteller eigene Produkte mit demselben Wirkstoff auf den Markt bringen. Generika eben.

Für Präparate mit relativ einfach gebauten Molekülen ist dies schon seit vielen Jahrzehnten gängige Praxis, aber bei den Biologika ist die Sache etwas komplizierter. "Es ist nicht möglich, ein Protein hundertprozentig genau zu kopieren", erklärt Christian Huber, Chemiker an der Universität Salzburg, im Gespräch mit dem STANDARD. Zu komplex sind die Syntheseprozesse in lebenden Zellen, zu vielfältig die Abweichungsmöglichkeiten in der Molekularstruktur.

Trotzdem lassen sich Nachahmerpräparate von bewährten Biologika produzieren. Solche Substanzen haben dieselbe Wirksamkeit wie die Originale und bestehen aus fast identischen Molekülen. Man nennt sie deshalb "Biosimilars" - Bio-Doppelgänger.

Ihr Marktpotenzial ist erheblich, weil sie preisgünstiger sind als die Neuentwicklungen. Laut Angaben aus der Pharmaindustrie laufen bis 2015 die Patente für diverse biologische Wirkstoffe mit einem geschätzten jährlichen Umsatzvolumen von 64 Milliarden Dollar aus. Kein Wunder, dass viele Hersteller bereits mit Hochdruck an der Entwicklung entsprechender Biosimilars arbeiten.

Strenge Qualitätsvorgaben

Doch auch solche Projekte sind eine kostspielige Angelegenheit. Ein klassisches Generikum schlägt mit durchschnittlich drei bis fünf Millionen Euro Entwicklungskosten zu Buche, bei einem Biosimilar sind es 100 bis 150 Millionen Euro. Grund sind unter anderem die Qualitätsvorgaben.

Die Präparate müssen nicht nur einen besonders hohen Reinheitsgrad vorweisen, die Moleküle dürfen sich auch nicht messbar vom Original unterscheiden. "Nur dann akzeptieren die Zulassungsbehörden, dass ein Biosimilar auch dieselbe Wirkung und dieselbe Sicherheit hat", sagt Huber. Die Qualitätsüberwachung erfordert den Einsatz modernster Analysetechnik, die zudem an neue Anforderungen angepasst werden muss - dies ist das Forschungsfeld von Huber und seinem Team. Er ist Leiter des neuen Christian-Doppler-Labors für die Charakterisierung von Biosimilars, finanziert vom Wirtschaftsministerium, der Nationalstiftung, dem Pharmakonzern Sandoz und dem Analysegerätehersteller Thermo Fisher Scientific.

Die Analyse ist ein Bestandteil des Produktionsprozesses, wie Huber betont. Die Methodik muss dementsprechend bereits während der Entwicklung eines Biosimilars implementiert und in den Zulassungsdokumenten festgelegt werden. Nachträgliche Änderungen wären sehr kostspielig.

Proteine sortenrein trennen

Eine der wichtigsten Analysemethoden für die Qualitätskontrolle von biologisch hergestellten Wirkstoffen ist die Flüssigkeitschromatografie mit anschließender Massenspektrometrie. Die in Wasser gelösten Proteine durchlaufen zunächst einen porösen Kunststofffilter. Das Material, eine modifizierte Polystyrenvariante, übt eine gewisse Anziehungskraft auf die Eiweißmoleküle aus. Dadurch werden sie im Durchlauf gebremst und kommen, je nach Typ, zu unterschiedlichen Zeitpunkten am Ende heraus.

So lassen sich bis zu tausend verschiedene Proteine sortenrein trennen. Nach der Chromatografie werden die Moleküle über ein Vakuum verdampft und in einer Spezialkammer durch ein elektrisches Feld in Rotation versetzt. Dabei entsteht ein minimaler, aber messbarer Strom, dessen Stärke Aufschluss über die Masse der Proteinpartikel gibt. Raffiniert und äußerst präzis.

Insgesamt umfasst das neue Doppler-Labor fünf verschiedene Arbeitsgruppen, jede mit ihrem eigenen Spezialgebiet. Das Team von Johann Brandstätter zum Beispiel optimiert die Röntgenkristallografie zur Analyse von Biosimilars. Die Komplexität der Materie erfordert interdisziplinäre Zusammenarbeit und diverse methodische Ansätze, erläutert Huber. "Wir machen uns, im wahrsten Sinne des Wortes, ein Bild von diesen Molekülen." (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 6.11.2013)