Bernhard Hellmann (links) und Konrad Lorenz waren passionierte Motorradfahrer, was auch konzeptuelle und begriffliche Folgen für die vergleichende Verhaltensforschung haben sollte.

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"Rabenvater" Konrad Lorenz, 1932, fotografiert von seinem damals engsten Freund Bernhard Hellmann. Die beiden verband ein leidenschaftliches Interesse für Tiere. Das NS-Regime sollte die beiden für immer trennen.

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Als Konrad Lorenz vor genau 40 Jahren als bisher letzter Österreicher einen wissenschaftlichen Nobelpreis (für Medizin 1973) erhielt, musste er wie alle anderen Laureaten eine Kurzbiografie verfassen. Im Fall des Mitbegründers der Verhaltensforschung fiel dieser Text auffällig lang aus.

Besonders ausführlich widmete sich Lorenz dabei seinen wissenschaftlichen Anfängen. Einen gewissen Bernhard Hellmann nannte er in dieser Autobiografie gleich fünfmal, öfter als so gut wie alle anderen Kollegen. Der "wichtige Freund" habe eine entscheidende Entdeckung gemacht und ihm außerdem ein für seine weitere Karriere entscheidendes Buch geschenkt. Dass Hellmann 1973 schon dreißig Jahre tot war, erwähnte Lorenz nicht.

Bernhard Hellmann taucht noch in einigen anderen Texten von Lorenz auf. Abgesehen davon ist nur wenig über diesen Mann bekannt, den der Verhaltensforscher brieflich sogar als den besten Freund bezeichnete, den er je hatte. Wer also war Bernhard Hellmann, und was hatte es mit dieser Freundschaft zwischen diesem Unbekannten und dem Verhaltensforscher auf sich?

Gemeinsamer Geburtstag

Die Geschichte von Konrad Lorenz und Bernhard Hellmann, die auch einiges über Österreich im 20. Jahrhundert erzählt, beginnt am 7. November 1903. An diesem Tag vor 110 Jahren erblickten die beiden auch noch zur gleichen Stunde und im gleichen Wiener Bezirk – am Alsergrund – das Licht der Welt. Zudem kamen sie aus recht ähnlichen Elternhäusern: Beide Väter waren sehr wohlhabend, und das bedeutete im Wien um 1900 einiges.

Adolf Lorenz hatte es trotz der bescheidenen Herkunft zu einem weltberühmten und vermögenden Arzt gebracht. Der Mitbegründer der Orthopädie verdiente allein im Jahr 1910 rund 140.000 Kronen, nach heutigem Kaufwert gut eine halbe Million Euro. Der Vater des anderen, der Textilindustrielle Paul Hellmann, war noch wohlhabender – und an der Förderung von Kunst und Kultur interessiert.

"Mein Großvater investierte viel Geld in die Wiener Werkstätten", erzählt sein Enkel Paul, ein Kulturjournalist, der vor 78 Jahren in den Niederlanden geboren wurde und bis heute in seiner Geburtsstadt Rotterdam lebt. Außerdem hätten seine Großeltern – Großmutter Irene war die Schwester des berühmten Rechtswissenschafters Josef Redlich – nicht unwesentlich zur Gründung der Salzburger Festspiele beigetragen.

Doch zurück zu Lorenz und Hellmann, die sich spätestens im Herbst 1914 als Erstklässler des Schottengymnasiums kennenlernten. Obwohl die beiden aus bestens situierten Elternhäusern stammten, galten sie in der elitären katholischen Privatschule als Außenseiter. Das lag zum einen daran, dass sie in den ersten Jahren Privatisten waren und nur an einigen Unterrichtsfächern teilnahmen. Zum anderen waren beide protestantisch getauft – im Fall von Lorenz aus einer Laune des katholischen Vaters heraus; Hellmann hingegen sollte der Übertritt zum Protestantismus wohl auch vor dem in Wien grassierenden Antisemitismus bewahren.

Vor allem verband Lorenz und Hellmann ein großes Interesse an der Zoologie. Ihre Leidenschaft brachte es mit sich, dass beide ihre elterlichen Wohnungen in Zoos verwandelten, dort viele mehr oder weniger exotische Tiere hielten und mit ihnen Verhaltensexperimente machten. So schaffte sich Bernhard Hellmann unter anderem ein junges Nilkrokodil an, von dem beide unabhängig voneinander heftig gebissen wurden, wie sich Lorenz noch kurz vor seinem Tod in seinen unveröffentlichten Memoiren erinnerte.

Entdeckung mit 17 Jahren

Mit 17 gelang Hellmann dann die von Lorenz erwähnte Entdeckung: Ein isoliert gehaltener männlicher Buntbarsch war so aggressiv, dass er alle Artgenossen, die zu ihm ins Aquarium gegeben wurden, sofort tötete. Hellmann hielt dem Tier einen Spiegel vor, der Fisch tobte sich an seinem Spiegelbild aus und war friedlich: Hellmann hatte damit erstmals gezeigt, was Lorenz später "aktionsspezifische Energie" nennen sollte, die "aufgestaut", aber auch "aufgebraucht" werden kann.

Hellmann und Lorenz maturierten 1922. Danach trennten sich ihre weiteren Ausbildungswege: Lorenz musste auf Geheiß seines Vaters zunächst Medizin studieren, ehe er in Zoologie promovieren durfte. Hellmann hingegen studierte Rechtswissenschaften und sollte die Firma des Vaters übernehmen, obwohl sein Talent und seine Leidenschaft – so wie bei Lorenz – sehr viel mehr in der Biologie lagen.

Privat blieben die beiden in engem Kontakt, und Hellmann trug nicht unwesentlich zu Lorenz' Karriere bei: Er tippte mit Lorenz' späterer Frau die Arbeitstagebücher seines Freundes ab und schickte sie dem Verhaltensforscher Oskar Heinroth nach Berlin, der davon ganz begeistert war. Damit begann Lorenz' wissenschaftliche Laufbahn, während Hellmann seine Tierexperimente weiterhin als Hobby betrieb.

Die beiden verband noch eine zweite Leidenschaft: Motorräder. Sie bereisten halb Europa, was auch seine Fortsetzung fand, nachdem Hellmann aus beruflichen Gründen Wien verlassen und sich in Rotterdam niedergelassen hatte. Die Motorradleidenschaft schlug sich auch auf die Verhaltensforschung nieder: Etliche der Schlüsselbegriffe von Lorenz wie Übersprungsbewegung oder Leerlaufhandlung waren der Motorradtechnik entlehnt.

Das letzte Mal dürften sich die beiden Freunde 1939 in Rotterdam getroffen haben. Wie Paul Hellmann 2009 in seinem nicht übersetzten Erinnerungsbuch Mijn Grote Verwachtingen ("Meine großen Erwartungen") schrieb, war für seinen Vater der Umstand eine der größten Enttäuschungen seines Lebens, dass sich sein bester Freund auf die Seite der Nationalsozialisten geschlagen hatte, die im Mai 1940 Rotterdam bombardierten, ehe sie die Niederlande besetzten.

Der bis 1938 weitgehend unpolitische Lorenz war nach dem "Anschluss" mit Begeisterung der NSDAP beigetreten. Dabei hat gewiss mitgespielt, dass er unter dem katholisch-austrofaschistischen Regime bis 1938 doppelt zu leiden hatte – sowohl als getaufter Protestant, der aus der Kirche ausgetreten war, als auch als überzeugter Anhänger der Evolutionstheorie Darwins. Ab 1939 veröffentlichte Lorenz, der 1940 Professor wurde, dann aber auch Texte mit Nazianbiederungen, die sogar seine "mitlaufenden" deutschen Kollegen verstörten.

Im Herbst 1941 erkundigte sich Lorenz noch einmal bei seinem niederländischen Freund Niko Tinbergen nach Hellmann. Tinbergen konnte Ende Oktober 1941 nur berichten, "dass es sehr bitter wäre", ehe er selbst von Mai 1942 bis September 1944 von den Nazis interniert wurde. Diese gingen in den Niederlanden unter Reichskommissar Arthur Seyß-Inquart, einem Österreicher, besonders grausam vor: Nirgendwo sonst in den besetzten Ländern war der Anteil der Juden, die in KZs ermordet wurden, so hoch wie in den Niederlanden.

Die Hellmanns mussten sich ab Mitte 1942 verstecken. Im November versuchten Hellmann und sein siebenjähriger Sohn nach Belgien zu fliehen. Der Plan scheiterte unmittelbar an der Grenze, woraufhin der Vater seinen Sohn zu einer Gastfamilie brachte. "Das war das letzte Mal, dass ich ihn sah", erinnert sich Hellmann, der dank glücklicher Umstände überlebte.

Sein Vater, der sich in der Nähe auf einem Bauernhof versteckte, wurde von Nachbarn verraten, wie der Kulturjournalist 2010 herausfand und in seinem zweiten Buch Klein Kwaad ("Geringeres Übel") schilderte. Ende März 1943 deportierten ihn die Nazischergen mit 1263 weiteren Juden nach Sobibor. Nur 63 Menschen, die sich in diesem Zug befanden, überlebten den 2. April 1943. Bernhard Hellmann war nicht unter ihnen. Paul Hellmann war deshalb im Prozess gegen den Sobibor-Täter John Demjanjuk, der 2011 schuldig gesprochen wurde, ein Nebenkläger.

Konrad Lorenz, der 1943 in Posen als Heerespsychiater arbeitete, geriet 1944 in sowjetische Kriegsgefangenschaft, ehe er 1948 nach Österreich zurückkehren konnte und wohl auch bald vom Schicksal seines ehemals besten Freundes erfuhr. Kontakt mit den Überlebenden der Familie nahm er allerdings nicht auf.

Eine seltsame Begegnung

Mehr als zwanzig Jahre später schrieb Paul Hellmann dem längst weltberühmten Gelehrten einen Brief. Hellmann hatte 1969 im Magazin New Yorker eine 50-seitige Reportage über Konrad Lorenz gelesen, in der dieser mehrmals seinen Freund Bernhard Hellmann erwähnte. Paul Hellmann wollte mehr über seinen Vater wissen, und schließlich traf man sich im Sommer 1971 in Wien.

Die Hellmanns verbrachten auch ein Wochenende am Wohnsitz der Familie Lorenz in Altenberg. Bei einem Ausflug auf der Donau in Lorenz' kleinem Boot trug sich dann etwas zu, was Hellmann als einen der "bizarrsten Momente" seines Lebens bezeichnet: "Lorenz begann unter Tränen und Wehklagen, sich größte Vorwürfe zu machen, damals auf der falschen Seite gestanden zu sein und sich nicht mehr um meinen Vater gesorgt zu haben. Unmittelbar danach zog er sich völlig nackt aus, forderte uns auf, es ihm gleichzutun und sprang in die Donau. Damit war wohl auch die persönliche Schuld abgewaschen."

Paul Hellmann und Lorenz trafen sich dann noch ein oder zwei Mal. Danach beschränkte sich der Kontakt bis zu Konrad Lorenz' Tod 1989 auf den Austausch von Weihnachtskarten. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 6.11.2013)