Yvette Colón wollte mit ihrer Boutique am Boom in Bushwick teilhaben. Doch das Geschäft läuft schlecht, die Kreativen bleiben lieber unter sich.

Foto: Frank Herrmann

Es ist keine gute Nacht gewesen für Yvette Colón. Bis spät in die Nacht hat sie telefoniert, getwittert, sich durch Facebook-Seiten geklickt. Irgendwo musste sie einen billigen Saal für die Teenager ihrer Breakdance-Truppe auftreiben. Bis jetzt hatten sie ein paar Quadratmeter Parkett zum Üben, über einer Bar, aber dann setzte sie der Manager kurzerhand vor die Tür, weil ihn die Hip-Hop-Klänge nervten. Drei Tage für je zwei Stunden hätten sie das Domizil noch gebraucht, dann wären sie bereit gewesen für die Show, ihre erste Show überhaupt.

Draußen rattern die Züge der Subway so nah vorbei, die Scheiben von Colóns kleiner Schmuckboutique erzittern alle fünf Minuten. Die U-Bahn fährt auf altmodischen Hochgleisen, wie sie in New-York-Filmen oft zum Symbol urbaner Härte verklärt wurden. Unten lärmt die Myrtle Avenue, ein Völkergemisch wie die Vereinten Nationen, schwarze Tattoo-Künstler neben der Café-Besitzerin aus Kambodscha und dem Supermarkt mit dem Wappen Ecuadors. Oben teilen sich Existenzgründer eine Etage, Fotografen, T-Shirt-Designer, Leute, die Skateboards bemalen. Yvette verkauft Untergrund-Accessoires, so nennt sie die Kettchen, Gürtel und Sonnenbrillen für die Boheme, die das Viertel zusehends als Underground-Hochburg entdeckt. An der Tür klebt ein Poster, wie es typisch ist für das neue Lebensgefühl an der Myrtle Avenue. Drei Modelmädchen vor einem graffitibesprühten Rollladen, daneben blätternde Fassadenfarbe. Hip, cool, tough, eben Bushwick.

Wenn Brooklyn das neue Mekka der Kreativen ist, dann ist Bushwick ihre Last Frontier, der Grenzraum, der für Amerikaner eine fast mythische Bedeutung hat. Früher lebten hier Einwanderer aus Deutschland, Irland, Polen. Als 1977 ein Stromausfall Plünderern das Handwerk erleichterte, gingen reihenweise Geschäfte in Flammen auf, da galt Bushwick, nunmehr mehrheitlich bewohnt von Afroamerikanern und Latinos, nur noch als Problembezirk. Dann wurde Williamsburg, ein Stück weiter westlich am East River, populär - und nun ist Bushwick der neueste Schrei bei Designern, Musikern und Malern, die vor den explodierenden Mieten fliehen.

Pioniere der Gentrifizierung

In der Bogart Street Nr. 56 mit ihren fabrikgroßen Fenstern, haben sich sechzig Künstler niedergelassen. Als Ted Hovivian die Lagerhalle 1983 für einen Spottpreis erwarb, war der Mann mit dem armenischen Namen ein Pionier der Gentrifizierung. Bushwick, hoffte er, könnte ein zweites SoHo oder Chelsea werden. Die Rechnung scheint aufzugehen, "56 Bogart" vereint heute neun Galerien. In der Nähe sollen Apartmenthäuser entstehen, der bisher teuerste Beweis des Bushwick-Fiebers.

In der Living Gallery, einem kahlen Ausstellungsraum neben einer Reifenbude, beraten Sprecher von Bürgerinitiativen im Stuhlkreis, wie sie mit dem Plan umgehen sollen. Auf Biegen und Brechen dagegen kämpfen? Oder Kompromisse ansteuern? Oberwasser gewinnen am Ende die Pragmatiker, die auf einen Proporz drängen. Ein Viertel der 997 Wohnungen soll es zu vergünstigten Mieten geben, ein Kirchenverein will darauf achten, dass wirklich Bedürftige dort einziehen werden.

"This quick gentrification is new to me. We're starting to notice some foolery, in the same streets that were cool to me." Yvette Colón spielt Rap-Sprüche vom Band. Die Verse handeln von den Schattenseiten der Gentrifizierung, von Dummheiten, wie sie den Alteingesessenen gegen den Strich gehen, etwa, dass die Medien nur über die Sonnenseiten Bushwicks berichten. Der Rapper ist Johnny, 13, Yvettes Sohn. Sie lebt allein mit dem Jungen, auch wegen Johnny hat Yvette ihre Teenager-Zirkel gegründet.

Sie will damit verhindern, dass er von Stärkeren auf die schiefe Bahn geführt wird. Vor allem will sie nicht, dass er nach Brownsville zurückkehren muss. Yvette hat in den vernachlässigten Sozialsiedlungen ihre Kindheit verbracht, sie kennt das Milieu mit Bandenkriegen und Machokult. Als die Tochter einer alleinerziehenden Mutter aus Puerto Rico die Gegend 2006 endlich in Richtung Bushwick verlassen konnte, begann sich das Viertel gerade zu wandeln. Vor 18 Monaten gründete sie ihre Boutique. Sie wollte teilhaben an der Aufbruchsstimmung, doch es läuft schleppend.

Die Kreativen, glaubt Yvette, bleiben lieber unter sich, mit Berlin oder London haben sie mehr am Hut als mit Leuten, die aus Brownsville stammen. "Keine Ahnung, wie lange ich mir Bushwick noch leisten kann." Noch duldet ihr Vermieter Familien, deren Mieten der Staat subventioniert. Aber was, wenn er verkauft an einen Immobilienentwickler, der das Gebäude renoviert und beim nächsten Vertrag das Doppelte verlangt? Johnny, sagt Yvette, müsste wieder nach Brownsville, zurück in den Käfig. (Frank Herrmann aus New York, DER STANDARD, 6.11.2013)