EU-Justizkommissarin Viviane Reding hat sich angesichts der jüngsten Spionageaffären erneut für einen europäischen Geheimdienst ausgesprochen. Und nennt sogar ein konkretes Datum, bis zu dem sie sich eine Realisierung ihres Vorhabens vorstellen kann: Bis 2020 sollte es einen solchen europäischen Nachrichtendienst geben. Die EU brauche ein Gegengewicht zum US-Geheimdienst NSA, erklärte eine Sprecherin von Reding am Mittwoch in Brüssel, Europa müsse in diesem Bereich gestärkt werden, um genauso stark dazustehen wie die amerikanischen Partner.
Daher gelte es, über eine stärkere Zusammenarbeit der Geheimdienste in Europa zu verhandeln, um mit einer starken gemeinsamen Stimme zu den USA sprechen zu können.
Vertragsänderung notwendig
Die Reding-Sprecherin erklärte, dafür müsste natürlich eine Vertragsänderung erfolgen. Derzeit zählen geheimdienstliche Tätigkeiten nämlich zu den exklusiven Zuständigkeiten der EU-Mitgliedsstaaten. Auch sei noch kein offizieller Vorschlag für die Einrichtung eines Dienstes in Arbeit. Eine Vertragsänderung wäre rein rechtlich betrachtet prinzipiell möglich, sagt die Wiener Europrechtlerin Alina-Maria Lengauer im Gespräch mit derStandard.at. Konstruierbar wäre das theoretisch in Form eines Opting in. Auch im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der gemeinsamen Sicherheitspolitik könnte Lengauer sich eine Entwicklung Richtung gemeinsamer Geheimdienst vorstellen. Die "Verstärkte Zusammenarbeit" ist ein politischer Mechanismus, mit dem eine Gruppe von Mitgliedstaaten eine gemeinsame Regelungen einführen können, ohne dass sich die anderen Staaten daran beteiligen müssen. Die Frage wäre natürlich, welche Mitgliedsstaaten tatsächlich Interesse an einer überstaatlichen Lösung hätten.
Bisher hat die EU keinen eigenen Nachrichtendienst. Jeder Mitgliedsstaat ist selbst für seine nationale Sicherheit verantwortlich, jedes Mitglied verfolgt auch unterschiedliche Ziele und Konzepte. So gehört Großbritannien zum Beispiel als einziger EU-Staat der Geheimdienstallianz mit den USA an. Grundsätzlich ist die Koordinationsstelle bei der EU-Polizeibehörde Europol in Den Haag gemäß ihren Gründungsstatuten auch für die Terrorabwehr zuständig. Schon jetzt arbeiten die Geheimdienste Europas aber anlassbezogen eng zusammen, das ging auch aus den Dokumenten des Whistleblowers Edward Snowden hervor.
Deutschland prüft Snowden-Befragung in Moskau
Bei der Aufklärung der NSA-Spionageaffäre will der deutsche Geheimdienstkontrollausschuss übrigens vorerst auf eine Befragung des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden in Deutschland verzichten.
Das Gremium richte aber "einvernehmlich" die Bitte an die Bundesregierung, die Möglichkeit einer Befragung Snowdens in Moskau zu prüfen. Es müsse sichergestellt werden, dass eine solche Befragung Snowden an seinem Asylort nicht "in Schwierigkeiten" bringe. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sagte eine solche Prüfung umgehend zu: "Das werden wir jetzt innerhalb der Bundesregierung prüfen." Friedrich betonte auch, dass es kein Asyl für Snowden geben werde. US-Außenminister John Kerry hat sich zuvor in deutschen Medien deutlich gegen Forderungen ausgesprochen, dem ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden Asyl in Deutschland zu gewähren.
An der Sitzung des Kontrollgremiums nahmen auch die Chefs des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND) und des deutschen Bundesamts für Verfassungsschutz, Gerhard Schindler und Hans-Georg Maaßen, teil. Sie berichteten dem Gremium über die Gespräche, die sie in den vergangenen Tagen in Washington geführt hatten. Dabei ging es auch um ein "No-Spy-Abkommen", mit dem Washington und Berlin auf gegenseitige Spionage verzichten wollen.
Das geplante Abkommen biete "die einmalige Chance, verlorengegangenes Vertrauen wiederzugewinnen", sagte Kanzleramtsminister Ronald Pofalla nach der Sitzung. Die nach Washington entsandten Delegationen der Bundesregierung und der deutschen Geheimdienste hätten den Eindruck gewonnen, dass das Weiße Haus die politische Dimension der Affäre "voll erkannt" habe. Laut Pofalla soll die Geheimdienstzusammenarbeit von Berlin und Washington auf Basis des No-Spy-Abkommens auf eine "neue Basis gestellt" werden.
US-Regierung: Anti-Spionage-Pakt unwahrscheinlich
Ein US-Regierungsvertreter sagte jedoch, dass Berlin derzeit nicht auf ein weitreichendes Anti-Spionage-Abkommen mit den USA hoffen dürfe. "Wir sprechen derzeit nicht über einen umfassenden Anti-Spionage-Pakt, aber wir sind uns einig, dass wir daran arbeiten müssen, das Verständnis zwischen unseren Ländern zu verbessern, und wenn wir das richtig tun, kann es unsere Beziehungen stärken", sagte der Gewährsmann am Dienstag (Ortszeit) in Washington. (APA, derStandard.at, 6.11.2013)