Der Pyjama allein erregt heute kein Mitleid mehr.

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Es ist an der Zeit, über stilvolles Kranksein nachzudenken. Leider geschieht das nicht ganz freiwillig, manchmal lenken ein paar Tage in der Horizontalen den Blick aber auf Dinge, über die man ansonsten großzügig hinwegsieht. Womit wir beim Pyjama wären. Manche Menschen sind der Meinung, dass es sich dabei ausschließlich um ein Nachtgewand handelt, seine Verwendung untertags also zu vermeiden wäre. Das hat etwas für sich.

Als es noch keine Pyjamas gab, und Leute stattdessen Nachthemden trugen, wäre niemandem eingefallen, diese auch untertags zu verwenden. In Filmen, die in der fernen Vergangenheit spielen, trippeln Menschen in Nachthemd, Zipfelmütze und dicken Socken ausschließlich in der Nacht durch die kalten Gemäuer, kaum, dass die Sonne aufgeht, schmeißen sie sich dagegen ohne Widerspruch in ihre Geh- oder Reifröcke.

Heute ist das bekanntlich anders, jemand, der es schafft, in seiner Wohnung bereits vor Mittag aus dem Pyjama zu kommen, hat gute Chancen gutbürgerlich genannt zu werden. Spätestens am Nachmittag schlüpft man dann in die Jogginghose. Was aber macht man, wenn man malad ist? Die Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten. Schlurft man am Vormittag im Pyjama durch die Wohnung, unterscheidet man sich nicht weiter von seinen Mitbewohnern.

Trägt man ihn am Nachmittag immer noch, denken die anderen garantiert, es handle sich um eine leichtere Jogginghose. Und hat man den Pyjama am Abend an, dann hat man es sich halt wieder bequem gemacht. Fazit: Der Pyjama allein erregt heute kein Mitleid mehr. Kranksein war auch schon einmal einfacher. (Stephan Hilpold, Rondo, DER STANDARD, 8.11.2013)