Besonders viele Porträts von Yassir Arafat sieht man jetzt im Zentrum von Ramallah, aber nicht wegen des Berichts der Schweizer Pathologen über das Gift im Körper des Palästinenserpräsidenten, sondern wegen des bevorstehenden neunten Jahrestages seines Todes. "Schlagt mir den Ölzweig nicht aus der Hand" ist ein Arafat-Zitat auf einem großen Poster, das aus diesem Anlass zu einer Zeremonie im Kulturpalast lädt. Die Passanten auf dem Yassir-Arafat-Platz schienen am Donnerstag aber kaum bewegt von den Wogen der Debatte über einen möglichen Mordanschlag.
Die Gleichgültigkeit erklärt sich dadurch, dass man ohnehin von Anfang an nicht an einen natürlichen Tod Arafats geglaubt hatte. "100 Prozent der Menschen hier glauben, dass er vergiftet wurde", sagt der Ladenbesitzer Omar Emad, und wie alle anderen Befragten hat er auch keinen Zweifel darüber, wer dahintergesteckt hat: "Israel war immer gegen ihn, weil sie glaubten, dass er nicht verhandeln, sondern lieber für die palästinensische Sache kämpfen wollte."
Ruf nach Strafgerichtshof
Nasser Abdel-Hadi, der in der Nähe ein Restaurant führt, meint, das französische Spital, in dem Arafat gestorben ist, und die französische Regierung hätten sofort eine Untersuchung beginnen müssen, aber "jetzt nach der langen Zeit könnte es zu spät sein, um die Wahrheit herauszufinden". Und er glaubt auch nicht an irgendwelche rechtlichen Konsequenzen, denn "wenn die Israelis ihn umgebracht haben, da hat die palästinensische Behörde keine Rechtsautorität". Ganz anders sieht das der Abgeordnete Mustafa Barguti, ein früherer Präsidentschaftskandidat: "Wir müssen die Verantwortlichen vor den Internationalen Strafgerichtshof bringen - dieses Verbrechen wurde durch Sharon und seine Regierung verübt."
"Völliger Humbug", meinte zu solchen Anschuldigungen der Likud-Politiker Silwan Shalom, der 2004 unter Ariel Sharon israelischer Außenminister war. Es habe damals einen Beschluss gegeben, Arafat physisch nicht anzutasten, und man habe ihn zur Behandlung nach Paris fliegen lassen, was Israel ja auch hätte verhindern können. Jigal Palmor, der Sprecher des Außenamts, sieht in den Vorwürfen bloß eine von Arafat-Witwe Suha inszenierte "Seifenoper" - der Pathologenbericht sei ein Auftragswerk, und die Mordtheorie habe "mehr Löcher als ein Schweizer Käse". (Ben Segenreich aus Ramallah, DER STANDARD, 8.11.2013)