Bild nicht mehr verfügbar.

Zu wenig Konsum, zu viel Arbeit. Chinas Wachstumsmodell hat Investitionen und Staatsunternehmen gefördert, zulasten der Konsumenten.

Foto: Reuters
Grafik: Standard

China läuft die Zeit davon. Wenn Markus Rodlauer anfängt, über die Herausforderungen für das bevölkerungsmäßig größte Land der Erde zu sprechen, arbeitet er eine lange Liste ab: Die Schulden der Unternehmen und Regionalregierungen sind deutlich gestiegen, das Wachstum bleibt von hohen Investitionen getrieben, und die einfachen Haushalte subventionieren ineffiziente Ausgaben der Staatsunternehmen mit ihren künstlich niedrig verzinsten Ersparnissen. Der Österreicher Rodlauer ist der Leiter der China-Mission des Internationalen Währungsfonds und hat im Sommer in einer 93-seitigen Studie gewarnt, dass die Tage des aktuellen Wachstumsmodell gezählt seien. "China hat mit seiner Entwicklung große Erfolge erzielt", sagt er im Gespräch mit dem Standard. "Aber es braut sich ein größerer Sturm über China zusammen."

Denn das Land bleibt international ein ökonomischer Außenseiter. Knapp die Hälfte der Wirtschaftsleistung geht in Investitionen, also Bauprojekte, Infrastruktur oder neue Fabriken. 48 Prozent sind es im Jahr 2012 gewesen. Mehr als doppelt so viel als in Österreich, mehr als dreimal so viel wie in den USA.

Doch die Wirtschaft hat immer weniger von den hohen Investitionen: "Je mehr investiert wird, desto weiter sinkt der Nutzen der zusätzlichen Ausgaben", sagt Rodlauer. Neu errichtete, überdimensionierte Geisterstädte wie Ordos in der inneren Mongolei sind die spektakulärsten Zeugen des chinesischen Versuchs, die Wirtschaft mit Bauprojekten anzukurbeln. "Dazu kommt noch das zusätzliche Risiko, wenn die Investition kreditfinanziert wird."

Denn Unternehmen und Gemeinden mussten sich zuletzt deutlich verschulden (siehe Grafik). Das Ausmaß ist enorm. Heute sind die Schulden in China im Verhältnis zum BIP um knapp die Hälfte höher als noch 2009. Eine "außer Kontrolle geratene staatliche Kreditschöpfung" nennen das Ökonom Moritz Schularick und Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson in einem aktuellen Kommentar des Wall Street Journal.

Große Schritte vorwärts

Gleichzeitig ist das Wachstum im größten Schwellenland der Welt gefallen, von zweistelligen Wachstumsraten vor 2007 auf unter acht Prozent 2012. Dieses Jahr rechnen Ökonomen mit knapp 7,5 Prozent. Das Wachstum hätte in diesem Jahr durchaus noch niedriger ausfallen können, aber die chinesische Führung hat auch im dritten Quartal 2013 ein Investitionspaket geschnürt, um die Wirtschaft zu stützen.

Diana Choyleva, Ökonomin bei Lombard Street Research in London, warnt davor, dass China künftig nur noch mit fünf Prozent wächst und in eine Krise schlittern könnte (siehe Interview). Der Ausweg? Eine Finanzreform. Zinsen und Währung sollen künftig freier sein als bisher. Zuletzt hat Chinas Regierung den Banken gestattet, die Kreditzinsen ohne Einschränkungen zu setzen. Doch die Einlagen der Haushalte werden noch immer mit einer Deckelung der Sparzinsen entwertet. Müssten die Banken im Wettbewerb um die Einlagen rittern, könnten diese Renditen deutlich steigen. Der Staat könnte zudem mit sozialen Reformen den Anreiz nehmen, dass in China überhaupt so viel gespart wird. "Ein deutlicher Richtungswechsel hin zu einer konsumentenbasierten Wirtschaft muss erst vollzogen werden", sagt Rodlauer vom IWF. (Lukas Sustala, DER STANDARD, 8.11.2013)