Manila/Hanoi/Tacloban - Nach dem verheerenden Taifun "Haiyan" versuchen Hilfskräfte nun, Wasser, Lebensmittel und Medikamente in die Region zu bringen. Rund 9,5 Millionen Menschen sind vom Taifun betroffen, Schätzungen zufolge starben mehr als 10.000 Menschen. Mehr als eine halbe Million Menschen musste fliehen oder hat keine Unterkunft mehr.

80 Flugzeuge aus USA

Die USA schickt nun ihren Flugzeugträger "USS George Washington" mit mehr als 80 Flugzeugen in die philippinischen Katastrophengebiete. Zudem würden weitere Schiffe entsandt, um die Rettungsarbeiten zu unterstützten, erklärte Verteidigungsminister Chuck Hagel am Montag in Washington.

Zuvor hatten die USA bereits weitere Soldaten und sieben Spezialflugzeuge ins Katastrophengebiet geschickt. Zudem kündigte Washington an, Hilfszahlungen in Höhe von 20 Millionen Dollar (15 Millionen Euro) bereitzustellen.

UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon stellte 19 Millionen Euro in Aussicht, auch Australien, China und Neuseeland kündigten Hilfszahlungen an.

Luftbrücke

Das Ernährungsprogramm der UNO bereitete mit der philippinischen Regierung auf dem Flughafen der Insel Cebu die Einrichtung einer Luftbrücke vor. 44 Tonnen Energiekekse wurden aus Dubai auf den Weg gebracht. Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF kündigte für Dienstag ein Transportflugzeug mit 60 Tonnen mit Zelten und Medikamenten an, Ausrüstung für Sanitäreinrichtungen und zur Aufbereitung von Wasser sollen folgen.

Neuer Sturm

Der tropische Sturm "Zoraida" bewegte sich unterdessen am Dienstag nach Angaben des Wetterdienstes 200 Kilometer vor der Küste von Davao und sollte Richtung Nordwesten ziehen. Bliebe er auf der berechneten Bahn, zöge er Mittwoch und Donnerstag südlich am Katastrophengebiet vorbei. Die Ausläufer waren im Katastrophengebiet bereits am Dienstag teilweise mit heftigem Regen zu spüren. Von der Insel Cebu wurden wegen hohen Seegangs mehrere Fährüberfahrten abgesagt.

Kein Strom, Benzin rationiert

Im Katastrophengebiet regiert das Chaos. Viele haben keinen Zugang zu Lebensmitteln, Trinkwasser oder Medikamenten. Auf Strom werden die Menschen noch mindestens zwei Monaten warten müssen, sagte Energieminister Jericho Petilla im Fernsehen. Zu viele Strommasten seien umgestürzt. Weil auch Tankstellen von den verheerenden Winden zerstört wurden, musste der Benzinverkauf auf der Insel Leyte rationiert werden.

Die meisten Todesopfer ertranken in den Wassermassen, die sich mit zahlreichen Trümmerteilen einem Tsunami gleich den Weg ins Landesinnere bahnten. In Tacloban verwesten am Montag bei Temperaturen von mehr als 30 Grad die herumliegenden Leichen in den Straßen. Die Lokalbehörden bereiteten Massengräber vor. Den wegen des schweren Erdbebens im Oktober ohnehin strapazierten Rettungskräften drohte zunehmend die Überforderung.

Riesige Frachtschiffe wurden in Tacloban wie Spielzeug an Land gespült. (AP Photo/Aaron Favila)

Laut Ärzte ohne Grenzen (MSF) wurde der Flughafen in Tacloban ebenso wie viele Straßen zerstört, es sei fast unmöglich, Telefonate zu führen. Das erschwerte die humanitäre Hilfe. MSF bringt in den kommenden drei Tagen nach eigenen Angaben 200 Tonnen Hilfsgüter in die Region. Der Flughafen wurde laut Augenzeugen von Hunderten Menschen belagert, die dringend auf Trinkwasser und Nahrungsmittel hofften.

Die wegen eines schweren Erdbebens im Oktober ohnehin strapazierten Rettungskräfte sind offenkundig überfordert. Nur drei Transportflugzeuge des Militärs waren vom nahe gelegenen Flughafen in Cebu aus im Einsatz, um das Katastrophengebiet mit dem Nötigsten zu versorgen. Zudem waren viele Bedienstete der Behörden und der Krankenhäuser ihre Energie damit beschäftigt, die eigenen Familienangehörigen in Sicherheit zu bringen und mit Lebensmitteln zu versorgen.

Plünderungen und Chaos auf den Philippinen

Augenzeugen berichteten von Plünderungen, das Rote Kreuz von Überfällen auf Hilfskonvois. Etwa 300 Soldaten waren im Einsatz, um Plünderungen zu unterbinden. Ein Sprecher der Streitkräfte, Ramon Zagala, bestätigte die Entsendung von 100 Soldaten, um die öffentliche Ordnung in der Küstenstadt Tacloban wiederherzustellen.

Überlebende hoffen auf Hilfslieferungen in Tacloban. (AP Photo/Aaron Favila)

Opferzahlen noch nicht offiziell bestätigt

Die philippinische Regierung hat die Totenzahl von etwa 10.000 noch nicht kommentiert. "Wir wollen niemand alarmieren, der nach Verwandten sucht", sagte Präsident Benigno Aquino. "Unsere Priorität sind die Lebenden."

Mindestens drei Tote in China

Taifun "Haiyan" hat auch in der südchinesischen Provinz Hainan Tod und Zerstörung verursacht. Mindestens drei Menschen starben, als heftiger Sturm und sintflutartige Regenfälle am Montag auf die östlich von Nordvietnam gelegene Inselprovinz niedergingen, wie das Büro für Zivile Angelegenheiten der Region mitteilte. 39.000 Bewohner mussten in Sicherheit gebracht werden.

Eine siebenköpfige Crew eines Frachtschiffs galt nach Angaben der staatlichen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua am Montag vor der Küste Hainans als vermisst. Auch die nahe gelegenen südchinesischen Provinzen Guangxi und Guangdong wurden laut der Agentur von den Ausläufern "Haiyans" getroffen.

Vietnam ebenfalls betroffen

Der Taifun kam in Vietnam deutlich schwächer an Land als auf den Philippinen. Die Behörden hatten in Zentralvietnam 800.000 Menschen in Sicherheit gebracht, bevor der Taifun seinen Kurs Richtung Norden änderte. Um 22.00 Uhr MEZ (4.00 Uhr Ortszeit) traf er etwa 160 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Hanoi auf Land, wie das US-amerikanische Taifun-Warnzentrum JTWC mitteilte. Dort kostete er staatlichen Medien zufolge bereits sechs Menschen das Leben, während er sich noch auf das Land zubewegte."Haiyan" schwächte sich jedoch nach Angaben der Meteorologen inzwischen aber deutlich ab und erreichte Windgeschwindigkeiten von 120 Stundenkilometern. 

Betroffen war auch die bei Touristen beliebte Ha Long-Bucht gut 120 Kilometer östlich von Hanoi. Nach ersten Berichten kam niemand ums Leben. "Touristen sind nicht zu Schaden gekommen und nicht in Gefahr", sagte der Vizedirektor der Tourismusbehörde in der Provinz Quang Ninh, Tran Van Luan. Die Bootsausflüge in die Bucht seien schon am Sonntag eingestellt worden. Am Dienstag gehe der Betrieb weiter. In der Region beginnt gerade die Hochsaison. Dort werden nach Angaben der Behörde täglich 2.000 ausländische Touristen erwartet.

Samar ist die viertgrößte Insel der Philippinen und gehört zu den Visaya-Inseln. Taifun Haiyan sorgte dort für Verwüstung.

"Wie ein Weltuntergang"

"Es ist wie der Weltuntergang", sagte eine Geschäftsreisende aus China, die in der am stärksten betroffenen Küstenstadt Tacloban drei Stunden lang durch Schlamm und Trümmer zu einer Rettungsstation des Militärs am ebenfalls zerstörten Flughafen watete. Augenzeugen zufolge lagen Hunderte Leichen in den Straßen und unter eingestürzten Häusern der Provinzhauptstadt.

Auf Fernsehbildern waren Kinder zu sehen, die sich auf Hausdächern festklammerten. Umgeknickte Strommasten und Bäume blockierten die Straßen. Helfer konnten die Überlebenden daher nur schwer mit Lebensmitteln versorgen.

Die Polizei schickte Verstärkung in die Stadt mit 220.000 Einwohnern. Ein Lasterwagenkonvoi mit Versorgungsgütern sei 20 Kilometer südlich von Tacloban gestoppt und geplündert worden, berichtete Rotkreuz-Chef Richard Gordon im Fernsehen. Die Notpakete hätten rund 5.000 Familien versorgen sollen. "Es ist chaotisch in Tacloban", sagte Roger Marcado, Gouverneur der Nachbarprovinz Southern Leyte, im TV. "Geschäfte werden geplündert, und die Menschen versuchen sogar, Geldautomaten zu knacken." Ein Ladenbesitzer stand mit gezückter Pistole vor seinem Laden, um Plünderer abzuschrecken.


"Haiyan" hinterlässt eine Spur der Verwüstung.

Innenminister Manuel Roxas machte sich aus dem Hubschrauber ein Bild von dem Ausmaß der Katastrophe. "Mir fehlen die Worte, es ist schrecklich", sagte er. "Von der Küste bis zu einem Kilometer ins Landesinnere steht so gut wie nichts mehr. Es ist wie nach einem Tsunami."

So ordnete auch Sebastian Rhodes Stampa, UN-Chefkoordinator für Katastrophen-Einsätze, die verheerenden Schäden auf den immer wieder von Taifunen heimgesuchten Philippinen ein: "Etwas von einer solchen Größenordnung habe ich das letzte Mal nach dem Tsunami im Indischen Ozean gesehen." Ein Mitarbeiter des Flughafens von Tacloban berichtete ebenfalls von Zuständen wie bei einer der gefürchteten Riesenwellen. "Ich habe mich ungefähr eine Stunde lang an einen Pfahl geklammert, während der Sturm Regen und Meerwasser durch den Flughafen gepeitscht hat." Einige seiner Angestellten hätten auf Bäumen ausgeharrt. "Ich habe die ganze Zeit gebetet, bis das Wasser zurückgewichen ist."

Brüssel koordiniert Philippinen-Hilfe

Nach dem Taifun verstärkt die EU ihre Bemühungen um Unterstützung. Die EU-Kommission will die Hilfsangebote der Mitgliedsländer besser koordinieren, wie die Brüsseler Behörde am Montag mitteilte. "Wir sind alle tief schockiert durch die Verwüstung, die der tropische Zyklon 'Haiyan' verursacht hat", erklärte die EU-Kommissarin für humanitäre Hilfe, Kristalina Georgiewa.

Vorrangig müsse es nun darum gehen, den Zugang zu entlegenen Regionen wieder herzustellen und die Menschen mit sauberem Wasser, Nahrung und Obdach zu versorgen, teilte Georgiewa mit. Nach Angaben der Brüsseler Behörde haben bereits mehrere EU-Staaten dem Land Unterstützung zugesagt. Experten der EU-Kommission seien an Ort und Stelle, weitere sollen folgen. Am Wochenende gab die Kommission drei Millionen Euro Nothilfe frei.

USA schicken Flugzeugträger

Die USA setzen zur Unterstützung der Sturmopfer den Flugzeugträgerverband der USS George Washington in Bewegung. Dies berichtete Reuters am Montag Abend in Berufung auf das US-Verteidigungsministerium.

Crowdsourcing-Karte über den Taifun

Unicef: 40 Prozent der Betroffenen sind Kinder

Für die Überlebenden in dem überwiegend katholischen Land baten inzwischen zahlreiche Menschen auch im Internet um Unterstützung. Zudem warnten internationale Hilfsorganisationen, dass die Philippinen nach einem schweren Erdbeben im Oktober kaum aus eigener Kraft genügend Hilfsgüter aufbringen können. Die zahllosen Obdachlosen bräuchten Nahrungsmittel, Trinkwasser und Zelte, hieß es.

Aus Deutschland schickten die Hilfsorganisationen World Vision und I.S.A.R. ein Transportflugzeug mit rund 25 Tonnen Hilfsgütern in das Katastrophengebiet - darunter 5400 Decken und 3000 Planen für Notunterkünfte. Die Hilfe kam zustande, weil die Lufthansa Platz im Frachtraum einer ohnehin nach Manila fliegenden Maschine zur Verfügung stellte. Eine Hilfszusage kamen auch aus den USA, die neben Nahrungsmitteln und Material zur Wasseraufbereitung auch ein erstes Team von 90 Marineinfanteristen schickten, um die philippinische Armee bei der Hilfe zu unterstützen. Sieben Spezialflugzeuge mit insgesamt 180 Marineinfanteristen und Matrosen an Bord starteten zusätzlich am Montag von Japan aus in Richtung Philippinen gestartet.

Auch die Caritas lieferte nach eigenen Angaben Zeltplanen sowie Tabletten zur Wasseraufbereitung und stellte für die erste Nothilfe 100.000 Euro bereit. Damit die Hilfe ausgeweitet werden kann, ruft die Organisation ebenso wie Unicef zu Spenden auf. Das UN-Kinderhilfswerk betonte dabei, mehr als 40 Prozent der von "Haiyan" direkt Betroffenen seien Kinder. (Reuters/APA, derStandard.at, 11.11.2013)