"Die ich rief, die Geister, Werd' ich nun nicht los." Kein Tag ohne neue Nachrichten über den Nachrichtendienst, der in den letzten Jahren daran gearbeitet hat, sich möglichst alle digital anfallenden Daten einzuverleiben und daraus Informationen zu extrahieren, mit deren Hilfe die Welt vor Terrorismus zu schützen ist . (Dieses Argument mag wohl der Begründung der eigenen Handlungen des Überwachers geschuldet sein.)

Wir sind erstaunt...

Seit Edward Snowden seinem inneren Bedürfnis nachgab und der Welt mitteilte, welch überbordende Überwachungsmaschinerie mittels der Fähigkeit, die weltweit generierten Daten zu sammeln und auch auszuwerten von der National Security Agency aufgebaut worden war, mehren sich die schier unglaublichen Meldungen, wer aller überwacht worden war und wird. Wir  – besonders unsere politischen Vertreterinnen – sind dermaßen erstaunt über diese Unverfrorenheit, dass die sprichwörtliche Erstarrung des Kaninchens beim Anblick der Schlange wohl auch die Fähigkeit der Sprache stark beeinträchtigt hat und eine angemessene Reaktion unmöglich macht.

Wir sind emotional betroffen...

Wir Bürger und Bürgerinnen Europas sind von unseren amerikanischen Partnern und (großteils noch immer) Vorbildern schwer enttäuscht – wir sind emotional betroffen. Wir haben in den letzten Jahren von der Entwicklung der digitalen Medien und Services in vielen Bereichen enorm profitiert und unsere Gewohnheiten an all die neuen Möglichkeiten gerne angepasst. Obzwar vor einigen Jahren schon Stimmen laut wurden, die vor der  Datensammelleidenschaft von  US-Konzernen wie Google, Facebook, Apple etc. (die Liste lässt sich leicht verlängern) warnten, wurden diese Warnungen einerseits mit den Hinweisen auf die enormen Vorteile der Services abgetan - andererseits hatte man ja auch nichts zu verbergen – und – schulterzuckend die Frage in den Raum gestellt, wer  denn die riesige Menge der anfallenden Daten auswerten könnte?

Wir haben es gewusst...

Ergibt sich aus dieser Situation jetzt nicht die Frage, ob wir etwa im Augenblick etwas zu verbergen hätten? Oder schockiert uns nur die Unverfrorenheit der Geheimdienste, Daten zu sammeln ohne dass wir davon wissen.

Denn schließlich haben wir gewusst, dass unsere favorisierten und täglich mehrmals genutzten Websites und Apps unsere Nutzungsdaten gesammelt, ausgewertet und uns mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen erstaunlich treffsicher bedient haben. Wir denken heute noch, dass dies unser Leben bereichert hat.  So sind wir mit Google, Facebook etc. eine Allianz eingegangen – Nutzung der Services gegen unsere Daten. Ehrlich gesagt - das ist schließlich das einzige Geschäftsmodell, das diesen Anbietern zu Verfügung steht: Personalisierte Information und Werbung.

Gefahr ...

Die kürzlich von der Washington Post mehrfach kolportierte Meldung, dass die NSA eigene Datenleitungen von Facebook, Google, Apple, Yahoo, Microsoft und AOL  angezapft hat  (und dies womöglich auch weiter tut) und darauf hin diese Unternehmen den US-Senat anrufen, der NSA so etwas wie Einhalt zu gebieten, entbehrt nicht eines gewissen Zynismus.

Unternehmen, wie die betroffenen, haben im letzten Jahrzehnt die Technologien geschaffen, die es möglich machen, riesige Mengen von Daten zu sammeln und auszuwerten. Dieselben Unternehmen unterliegen dem Patriot Act, der US-Behörden, wie FBI, NSA und CIA Zugriff zu den Servern von US-Unternehmen im In- und Ausland zusagt. Dieser Patriot Act, nach den Ereignissen von 9/11 im Jahr 2001 von Geroge W. Bush unterzeichnet, wurde in den  letzten Jahren verlängert und erweitert.

Die offensichtliche Entrüstung von Facebook, Google, Apple, Yahoo, Microsoft und AOL, die sich in dem Verlangen äußert, die Befugnisse der US-Behörden zu beschränken, erinnert an Zauberlehrlinge, die die Kräfte des Meisters einsetzen und daran zu scheitern drohen. Der besondere Witz an der Sache ist, dass die jetzigen Lehrlinge dem Meister bei der Entwicklung seiner Kräfte maßgeblich geholfen haben und dies geheim bleiben sollte.

... für die Geschäftsmodelle

Die Enthüllungen des Edward Snowden werden somit in einem Zusammenhang wirksam, der noch nicht wirklich transparent und offensichtlich ist. Das Vertrauen in digitale Services nimmt ab – die Cloud ist in Gefahr. Nutzer von Services, deren Server oder Unternehmenszentralen in den USA liegen, können auf keinen Fall mehr sicher sein, dass ihre Daten nicht von Dritten ausgelesen werden. Es sei dahingestellt, ob das Vertrauen bisher angebracht war, zur Zeit es ist auf jeden Fall schwer erschüttert.

Unter diesem Aspekt ist das Ersuchen der genannten US-Unternehmen an den US-Senat, die Tätigkeiten der NSA zu beschränken, nichts anderes, als ein Hilferuf zur Rettung ihrer Geschäftsmodelle. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. (Leserkommentar, Walter Karban, derStandard.at, 8.11.2013)