Wien - Die Konferenz sollte so vertraulich sein, dass sogar Parlamentsmitarbeiter im Dunkeln tappten. "Abgesagt" sei das Treffen, hatte ein Bediensteter beim Eingang des Hohen Hauses mitgeteilt bekommen. Seltsamerweise herrschte einen Stock höher im Lokal 3 aber großer Betrieb. Die Koalitionsverhandler von SPÖ und ÖVP hatten Experten geladen, um das aufgetauchte Finanzloch im Budget abzuschätzen - wobei die Redseligkeit der Teilnehmer unterschiedlich ausgeprägt war.
Manche Gäste - etwa die Wirtschaftsforscher Karl Aiginger und Christian Keuschnigg sowie Nationalbank-Gouverneur Ewald Nowotny - verließen die Sitzung mit einem knappen "kein Kommentar". Andere, wie ÖVP-Chefverhandler Josef Pühringer, entschlugen sich konkreter Angaben, "solange die Zahlen nicht endgültig sind". Dritte wiederum kalmierten. SP-Wirtschaftssprecher Christoph Matznetter: Er teile die "Lust" nicht, Budgetlöcher in beliebiger Höhe "zu zelebrieren".
Beunruhigender klingt, was Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner berichtete. Sechs bis acht Milliarden Euro fehlten nach derzeitigem Stand pro Jahr im Staatshaushalt, sagte der ÖVP-Politiker nach Sitzungsschluss. Diese Summe würde sogar die bisher kolportierten Dimensionen sprengen, sondern auf ein noch höheres Defizit hinauslaufen, als in der pessimistischen neuen Prognose der EU-Kommission ausgewiesen. Über fünf Jahre addiert ergäbe sich gegenüber dem bisherigen Budgetplan ein Fehlbetrag von bis zu 40 Milliarden.
In düsteren Farben gemalt
der Standard fand eine Gelegenheit, bei Wallner nachzufragen. Der Landeshauptmann konkretisiert die von ihm genannte "Durchschnittszahl" und spricht von einem kontinuierlich steigenden Bedarf, der sich 2018 schließlich auf insgesamt 28 bis 30 Milliarden Euro belaufe: Das hätten die Experten vor versammelter Koalitionsrunde vorgerechnet.
Mehrere Eingeweihte bestätigen diese Dimension. Darunter auch Verhandler der SPÖ, die aber darauf hinweisen, dass es sich bei Szenarien mit einem Dreier davor um den "Worst Case" handle. Unsicher ist etwa, wie viel die notverstaatlichten Banken, allen voran die Hypo Alpe Adria, kosten. In die Maximalvariante sind auch (Vor-)Wahlversprechen wie die höhere Pendlerpauschale und Familienhilfe eingepreist, außerdem variieren die Ergebnisse je nach Prognosemodell.
Vor den Kulissen geben sich die Sozialdemokraten betont entspannt. Als "unnötige Verunsicherung" bezeichnet Klubchef Andreas Schieder, Chefverhandler der SPÖ, die Spekulationen über ein "riesiges" Budgetloch: Es handle sich um ein bewältigbares Problem, dem sich die nächste Regierung mit gutem Gewissen stellen könne. Matznetter sagt: "Es gehört zum Selbstverständnis der Experten, das Budget erst einmal in düsteren Farben zu zeichnen."
Dass die Regierung ihre derzeit noch gültige Budgetplanung auf veralteten Zahlen aufgebaut habe (DER STANDARD berichtete), indem sie aktuelle, pessimistische Wirtschaftsprognosen ignorierte, wiesen Schieder und Matznetter zurück. Letzterem fällt dazu ein alter Witz ein. Warum gibt es Wirtschaftsforscher? Damit Meteorologen mit ihren wackeligen Prognosen nicht allein dastehen.
"Niemand wird bewusst tricksen, ich schließe das aus", sagt auch VP-Verhandler Pühringer. Die Ausmaße des Bankenproblems seien beim Budgetausblick vom Frühjahr nicht absehbar gewesen, auch zu den Pensionen habe es keine Prognose gegeben.
Der oberösterreichische Landeshauptmann übersieht da freilich die Voraussage der Pensionskommission, die seit einem Jahr stärker steigende Kosten prophezeit als im Budgetplan verbucht. Ihre Berichte zeigen auch, woran das hauptsächlich liegt: Während die Zahl der Pensionisten wegen diverser Eingriffe ins System weniger wachse als ursprünglich erwartet, fielen die Einnahmen der Sozialversicherung in Folge hoher Arbeitslosigkeit und bescheidener Einkommenssteigerungen schwächer aus - eine Folge der matten Wirtschaftslage.
In beiden Parteien wurden Stimmen laut, das "zarte Konjunkturpflänzchen" (Matznetter) trotz fehlender Milliarden nicht im Zuge eines brachialen Sparkurses zu zertreten. Die versprochene Steuerentlastung will vorerst niemand abblasen; allerdings glauben mittlerweile auch manche ÖVP-Politiker, dass diese ohne Gegenfinanzierung unrealistisch sei. Die SPÖ schlägt dafür bekanntlich Vermögenssteuern vor.
Kommenden Dienstag wollen die Finanzverhandler weiter diskutieren, im Laufe der Woche soll ein Endbericht über die Budgetlage her. Weitere fixierte Termine: Der Nationalrat wird am 20. November tagen und wohl auch am 17. Dezember. Während manche Protagonisten in SPÖ und ÖVP ein Stimmungsbild zeichnen, laut dem eine Zusammenarbeit noch lange nicht ausgemacht sei, gehen andere von folgendem Fahrplan aus: Sieben Tage vor Weihnachten könnte sich die neue Regierung im Parlament präsentieren. (Gerald John, DER STANDARD, 9.11.2013)