Stephan Doering, Vorstand der Uni-Klinik für Psychoanalyse und Psychotherapie am AKH Wien.

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STANDARD: Psychopathen an der Spitze - solche Bücher, die sagen, dass die Skrupellosesten, paranoid oder narzisstisch Gestörten nach ganz oben kommen, verkaufen sich super. Ist da was dran?

Doering: Psychopathen sind das Extrem des gewissenlosen Menschen. Dies pauschal von Managern zu behaupten wäre sicher vollkommen falsch. Aber mildere Formen des Egoismus oder Narzissmus finden sich traditionell sicher bei Menschen in Führungspositionen. Natürlich ist es zunächst einmal leichter aufzusteigen, wenn ich mich großartig finde, bereit bin, andere auszunutzen, und zugleich das Bedürfnis habe, von anderen bewundert zu werden. Rücksicht auf Schwache, der Blick aufs Gemeinwohl, das bringt dagegen sicher nicht die höchsten Aktienkurse. Ich glaube aber, dass das zunehmend der Vergangenheit angehört und dass solche Führungskräfte immer weniger toleriert werden.

STANDARD: Wodurch, wovon kommt der Wandel?

Doering: Der Zeitgeist ändert sich, die jüngeren Leute lassen sich nicht mehr alles gefallen. Zu den Brechern gehört sicher die Generation Y, also die um die 30. Sie bringen Unordnung in die Führung - wenn sie sich nicht wohlfühlen, dann gehen sie schnell oder kommen erst gar nicht. Sie hinterfragen ungeniert und haben weniger Angst, Schaden zu erleiden, wenn sie Autoritäten herausfordern. Die Generation Y stellt Fragen, die verhandelt werden müssen.

STANDARD: Und bringt damit mehr Moral, mehr Gewissen in die wirtschaftliche Regentschaft?

Doering: In einer Art - ja. Ich bin da Idealist. Allerdings: Junge Menschen, die wir uns an den Spitzen wünschen, wollen dort oft gar nicht hin. Zum einen scheuen sie den Eintritt in Systeme, in denen sie befürchten müssen, zu unmoralischem Handeln gezwungen zu werden. Zum anderen wollen sie auch nicht wie ihre Eltern leben, die sie möglicherweise als Kind kaum gesehen haben, da diese mit ihren Karrieren beschäftigt waren. Sie wollen zuallererst ein glückliches Privatleben. Und die Eltern fragen sie: Hättet ihr gerne mehr gelebt, mehr geliebt oder noch mehr gearbeitet und verdient? Da findet ein sehr effektives Infragestellen der Elternposition statt: Wohlstand, Status, schönes Haus - all das ist nicht mehr automatisch und um jeden Preis erstrebenswert. Ich finde es auch in meinem Umfeld schwierig, Führungskräfte aufzubauen. Es gibt viele hochbegabte junge Ärztinnen und Ärzte, die das Zeug hätten, Chefs zu werden und zu gestalten - und die Leute winken ab. Es wäre toll, wenn gerade diese Leute mit Begabung, Werten und Integrität in die wirtschaftliche Führung, in die Politik gehen würden. Dann könnten sie von oben den Stil verändern.

STANDARD: Der Wandel im Wunschprofil der Führungskräfte ist aber offensichtlich da. Hin zum Ermöglicher im Chefsessel. Die Mechanismen sind auch transparenter geworden ...

Doering: Ja. Strauss-Kahn wäre früher nie vor Gericht gekommen. Heute traut man sich eher zu sagen, was die Mächtigen falschmachen - es gibt in der Öffentlichkeit eine andere Kultur.

STANDARD: Was kann, wie ist ein guter Chef?

Doering: Natürlich braucht ein Chef eine Portion Narzissmus. Der sollte aber nicht krankhaft gesteigert sein, sondern aus einer "gesunden Selbstliebe" bestehen - dazu gehört die Lust am Gelingen, die Fähigkeit, sich und anderen etwas zuzutrauen, mit einem Machtverständnis, das sozial verantwortlich ist. Die Fähigkeit, den Job zu genießen, ohne ihn "haben" zu müssen. Das schützt übrigens auch vor Überlastung und Burnout. Gute Chefs sind Menschen, die Verantwortung übernehmen können, ohne Macht ausüben zu müssen. Und die jederzeit sagen können, warum sie sich den Führungsjob antun.

STANDARD: Auf dem Weg in eine bessere Welt?

Doering: Ich bin sehr skeptisch gegenüber einfachen Lösungen. Tatsache ist ja, dass alles vielfältige Konsequenzen in komplexen und globalisierten Systemen hat. Ich glaube nicht, dass wir darüber noch Kontrolle haben. Beispiel Reichensteuer: Ist sie gut oder führt sie nicht auch zu Betriebsschließungen, Verlust von Arbeitsplätzen, Abwanderung? Durch radikale Moral ändere ich die Welt nicht.

STANDARD: Was lohnt sich dann für Sie?

Doering: Wenn ich in meinem Leben einer Handvoll psychisch kranker Menschen wirklich helfen kann, wenn ich ein paar gute wissenschaftliche Studien mache und wenn ich eine Reihe junger Menschen auf dem Weg ihrer Karriere begleiten kann - dann kann ich sagen: Das ist okay. Das ist mein Weg, an der Welt nicht zu verzweifeln. (Karin Bauer, Karrieren Standards, 13.11.2013)