Szenenbildnerin Güzin Erkaymaz muss jeden einzelnen Gegenstand, ob Blumenvase, Würfelzucker oder Auto, im Blick haben. Und da Kamera, Licht und Ton viel Platz im engen Hof des Studios einnehmen, müssen die Gegenstände nach jeder Klappe umgeräumt und später am selben Ort platziert werden. Für Erkaymaz bedeutet das warten, warten, warten - und im richtigen Moment rennen. Mit Ausnahme der Schauspieler darf sich niemand vom Set von "Küçük Gelin" ("Kleine Braut") entfernen.

Die Serie wird zu einem großen Teil in einem Filmstudio am Rande Istanbuls produziert. Die Produktionsfirma dreht keine Folge auf Reserve und so muss ein straffer Zeitplan eingehalten werden, um die Serie in Spielfilmlänge vor der Ausstrahlung jeden Sonntag fertigstellen zu können. Für Erkaymaz und die anderen Setmitarbeiter bedeutet das täglich um die 17 Stunden Arbeit, sechs Tage die Woche.

Mangelnde Alternativen für Filmschaffende

Tätigkeiten in anderen Bereichen des Filmgeschäfts sind rar, da der Sektor der Seifenopern die Türkei dominiert. Erkaymaz rechnet sich selbst zu den Glücklicheren, da Semanyolu TV (Lizenzinhaber von "Küçük Gelin") eine bedeutende religiöse Fernsehstation ist und fühlt sich mit 600 bis 1.100 Euro monatlich recht gut bezahlt. Erkaymaz' Filmstudium, die vielen Stunden am Drehort, die Nachtarbeit und Kälte würden damit dennoch nicht genügend honoriert, klagt sie.

Möglichst viele Werbeplätze schaffen

Jede Episode wird auf rund zwei Stunden gedehnt - auch das sehen viele in der Branche als Ursache der schlechten Arbeitsbedingungen. "Die Produzenten wollen so viel Werbung wie möglich unterbringen, nur deswegen ist eine Episode so lang", sagt Erkaymaz. Tatsächlich dauern viele türkische Serien zwischen 60 und 120 Minuten und werden oft täglich gezeigt, weshalb Erkaymaz sich keine besseren Arbeitsbedingungen bei anderen Produktionsfirmen erhoffen kann.

"Die wollen nur heulen können"

Ein weiteres Problem sei der Geschmack der Türken, lässt sich Erkaymaz hitzig aus: "Die wollen nur heulen können und sich anspruchslos unterhalten!" Der religiöse Sender Semanyolu TV ist dafür bekannt,  bei jeder Gelegenheit zu moralisieren und zeigt besonders kitschige und traditionelle Stoffe. "Küçük Gelin" gilt als die Krönung der Seifenopern. Herzschmerz und bösem Schicksal kann man aber im türkischen TV durch Umschalten generell nur schwer entgehen.

85 Minuten Tränen

Serienheldin Zehra steht gefesselt am Rand einer Klippe. Neben ihr zittert ihr Vater. Jemand hält ihm einen Revolver an die Brust und er soll nun das 14-jährige Mädchen mit den blauen Augen hinunterstoßen. Die Szene zieht sich rund 15 Minuten lang mit wechselnden Gegenschüssen der Kamera auf die verzogenen Gesichter des Drohenden, des Vaters und Zehras selbst. Schließlich hält der Vater dem Druck nicht mehr stand und stößt seine Tochter in den Abgrund.

Nach dem Stoß blicken die heraneilenden Familienmitglieder bestürzt hinab auf den im Wasser treibendenden grünen Hijab, kreischen (die Frauen) und stürzen sich (die Männer) hinterher, um das Mädchen zu retten. In den folgenden 85 Minuten erfährt jedes einzelne Mitglied der Familienclans nach und nach vom Ertrinken Zehras und bekommt auch Zeit und Raum, seinen Schmerz darüber auszudrücken. Die Baglama (türkische Laute) im Hintergrund schweigt nie.

Rekord bereits nach einem Monat

Die Dramatik türkischer Serien kommt weltweit gut an. Etwa 150 Serien werden derzeit in 73 Länder verkauft, vor allem nach Asien und Nordafrika. Allein die zuvor erfolgreichste Serie "Muhtesem Yüzyil" ("Das prächtige Jahrhundert") läuft in 45 Ländern. Bis zu 125.000 Dollar geben TV-Sender pro Episode aus. Schätzungen sprechen von 100.Millionen Dollar, die in einem Jahr an der Serie verdient werden. "Küçük Gelin" läuft seit September 2013 und ist bereits nach der zehnten Folge in der Türkei Quotenbeste. (Maria von Usslar, derStandard.at, 29.11.2013)