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Das Zentrum Pekings zu Füßen: Eine Museumsbesucherin begutachtet das Miniaturmodell der chinesischen Hauptstadt. Auch die massive Urbanisierung macht Reformen in dem Land notwendig.

Foto: Reuters/KYUNG-HOON

Flotten von schwarzen Audi-Limousinen und Minibusse biegen vom Changan-Boulevard in das Jingxi (Hotel im Westen) ein. Nur ausländische Kamerateams und Korrespondenten verfolgen von einer entfernten Straßenkreuzung aus die Ankunft der 400 mächtigsten Funktionäre Chinas in dem legendären Grandhotel der Kommunistischen Partei.

In dem 1964 erbauten Komplex auf Pekings Ost-West-Achse trafen sich traditionell die Führungseliten des Landes, wenn sie unter sich bleiben wollten. Derzeit wird in dem weiträumig abgesperrten Areal wieder Parteigeschichte geschrieben. 205 Vollmitglieder des Zentralkomitees, 171 nicht stimmberechtigte Kandidaten und Sondergäste des Politbüros konferieren unter Parteichef Xi Jinping nur über ein Thema: die Zukunft der Wirtschafts- und Gesellschaftsreformen in der Volksrepublik.

Eigentlich bräuchte der kleine Parteitag nicht so geheim zu sein. Seit 35 Jahren setzt Peking auf Reformen. Die Volksrepublik, heute die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, ist damit gut gefahren. Die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua durfte aber nur knapp den Beginn des ZK-Plenums am Samstag melden. Nach Beschluss des Politbüros soll es vier Tage beraten, wie sich die Reformen in "systematischer, integrierter und koordinierter Weise vertiefen" lassen. Die Partei wolle die "sozialistische Marktwirtschaft, ihre Demokratie, Kultur, gesellschaftliche Harmonie und Ökologie" schneller entwickeln. Alles Weitere werde die Öffentlichkeit erst am 12. November über ein Kommuniqué erfahren.

Absolute Funkstille

Seither herrscht Funkstille. Presse oder Fernsehen dürfen nicht einmal Fotos oder Filme von der Ankunft der ZK-Teilnehmer zeigen. Kein Parteisprecher gibt Auskunft, wie viele KP-Mächtige zusammensitzen. Mindestens einer fehlt: Gegen ZK-Mitglied Jiang Jiemin, den obersten Parteikontrolleur der Staatsfirmen und Staatsanlagen, wird wegen Verdacht auf Korruption ermittelt.

Im Vorfeld des Plenums hatten Pekinger Führer mit einem Werbefeldzug für ihre Reformen Hoffnungen geweckt, dass es transparent zugehen würde. Parteichef Xi reiste durch die Provinzen und versprach "allumfassende Reformen". Premier Li Keqiang kündigte eine bessere Informationspolitik an. Der Staat werde seine Kontrolle über die Wirtschaft lockern, bürokratische Hürden abbauen und für neuen Reformschwung im Finanzsektor, bei Bodenpolitik und Urbanisierung sorgen. Yu Chengsheng, ein Mitglied der siebenköpfigen Inneren Führung, pries "nie da gewesenene Bandbreite und Tiefe" der geplanten Reformen an.

Während nun das ZK schweigt, spekulieren Medien um die Wette, zu welchen Reformen sich Peking durchringen könnte. China Daily schrieb am Montag, dass der Startschuss zur Öffnung der 112 Staats- und Monopolkonzerne falle. Die Global Times titelte von "Reformen 2.0". Die China Business News warnten angesichts des Hypes, es sei müßig, vom Plenum konkrete Ergebnisse zu erwarten. Die Partei werde nur die "Richtlinien für einen Gesamtreformplan der nächsten fünf bis zehn Jahre" festlegen, um dem "Wirtschaftswunder" neuen Schub zu verschaffen.

Hinter dem alten Ritual der Partei, ihre Debatten geheim zu halten, steckt aber auch Kalkül. Ungeachtet aller wirtschaftlichen Reformen, auf die sich das ZK einigt, ist die geheime Klausur ein deutlicher Wink an alle Kritiker, dass sich politisch in China nichts ändern wird. Das Parteiorgan Renmin Ribao druckte einen Tag vor Beginn des Plenums demonstrativ eine ganzseitige Interpretation des "ZK-Forschungsstabs zur Parteigeschichte" über die Intentionen von Parteichef Xi. Ihre ernüchternde Botschaft: Eine Liberalisierung westlichen Stils, Mitbestimmung oder Transparenz stehen nicht auf dem Fahrplan. (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD, 12.11.2013)