Österreich ist ein kreatives Land. Und Österreichs Politiker sind kreative Wortschöpfer. Studiengebühren heißen dann Studienbeiträge, die Hauptschule mal Neue Mittelschule. Neuestes Wortungetüm: Potenzialanalyse statt Aufnahmeverfahren. All diese Worte sollen Reformeifer in einer Bildungspolitik vermitteln, die seit Jahren festgefahren ist. In der Regierungsverhandlung soll nun echte Bewegung erfolgen, sagen die Koalitionäre. Ganz neuer Stil eben.

Die Volkspartei will die Potenziale der Kinder und Jugendlichen überprüfen und die Ergebnisse für die Schulwahl heranziehen. Dieses Aufnahmeverfahren soll die Qualität des Gymnasiums erhalten - in ÖVP-Kreisen heißt das dann Differenzierung. Doch in Wirklichkeit handelt es sich um eine Elitisierung. Denn die Entscheidung Gymnasium oder Neue Mittelschule mit zehn Jahren kann den weiteren Lebensweg maßgeblich beeinflussen.

Für die SPÖ ist ein Aufnahmeverfahren im Gymnasium ein rotes Tuch. 1971 schaffte die Regierung Kreisky als eine der ersten schulpolitischen Maßnahmen genau jene Prüfungen ab - und führte kostenlose Schulbücher und Schülerfreifahrt ein. Bildung sollte leistbar und erreichbar sein - für alle Bevölkerungsteile. Kaum vorstellbar, dass die Sozialdemokraten nun nach 40 Jahren diesen Kernwert verlassen.

Wilfried Haslauer - ÖVP-Chefverhandler beim Thema Bildung - will nicht nur selektieren, wer ins Gymnasium kommt, sondern auch die Zahl der Gymnasialschüler um ein Drittel reduzieren. Das schafft zwar mehr Neue Mittelschulen - eine Schulform, die die SPÖ als eine Art Schmalspurgesamtschule verkauft -, gleichzeitig wird jedoch die Exklusivität des Gymnasiums verstärkt. Eine gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen kann nur funktionieren, wenn es auch wirklich eine gemeinsame Schule aller Zehn- bis 14-Jährigen ist. Sonst schreibt man die Zwei-Klassen-Pädagogik der Vergangenheit fort.

Das Problem liegt aber tiefer. Schon das heute gültige System sollte die Potenziale der Schülerinnen und Schüler abbilden, funktioniert aber nicht. Aus Angst, das Kind schaffe es nicht ins Gymnasium, werden Volksschullehrerinnen und Volksschullehrer massiv unter Druck gesetzt. Die Selektion von Zehnjährigen wird so zum sozialen Stigma.

Die Potenzialanalysen entsprechen ganz dem Leistungsmantra der Volkspartei: Wer etwas leistet, wird belohnt. Das sollen auch Kindergarten- und Volksschulkinder früh genug erfahren. Und sie spiegeln den Trend zur Schubladisierung des Menschen wider. Bildungsfortschritt als wissenschaftlich messbare Größe verkennt den Raum, den Kinder und Jugendliche brauchen, um sich entwickeln und Fehler machen zu können.

Gymnasien wurden in einer Zeit geschaffen, in der klare gesellschaftliche Strukturen und Hierarchien von den Machthabern gewünscht wurden. In ihren Bildungskasernen überdauern sie die Monarchie um beinahe einhundert Jahre. Sie haben ihren Platz verloren. Die Schaffung von Aufnahmeverfahren zerschneidet die Bildungslandschaft mehr, als sie durch eine mögliche Aufwertung der Neuen Mittelschulen geeint wird. Sie sind eine Fortführung der Klientelpolitik der Volkspartei. Bildung ist aber nicht für die Einzementierung gesellschaftlicher Ungleichheiten da, sondern für ihre Überwindung. Das ist das Potenzial, das in den Schulen steckt. Es bleibt - allen Analysen zum Trotz - bislang ungenützt. (Sebastian Pumberger, DER STANDARD, 12.11.2013)