Manila – Die Zahl der Taifun-Todesopfer auf den Philippinen ist offiziell auf mehr als 2.000 gestiegen. Am Mittwoch wurden aus den Trümmern der Verwüstung, die der Taifun "Haiyan" am Freitag hinterlassen hatte, weitere Leichen geborgen. Die Behörde für Katastrophenschutz listete insgesamt 2.275 Todesopfer auf.
Die meisten Menschen kamen auf den Inseln Samar und Leyte ums Leben, wo Sturmfluten mit tsunamiähnlichen Wellen Hunderte Meter über das Land rollten und alles mit sich rissen. Mindestens 3.665 Menschen wurden nach Angaben der Behörde verletzt. Die Zahlen dürften noch steigen, weil unter Trümmerbergen weitere Leichen vermutet werden.
Tote bei Plünderungen
Beim Sturm verzweifelter Taifun-Opfer auf ein Reislager im Katastrophengebiet sind indessen nach Angaben eines Beamten acht Menschen ums Leben gekommen. Die Leute seien erschlagen worden, als eine Wand des Gebäudes unter dem Andrang der Menschen einbrach und niederstürzte, sagte Rex Estoperez, Sprecher der nationalen Nahrungsmittelbehörde, am Mittwoch. Der Zwischenfall geschah am Dienstag in Alangalan auf der schwer betroffenen Insel Leyte. Nach Angaben des Beamten plünderten die Menschen tonnenweise Reis. "Wir appellieren an diejenigen, die Reissäcke mitgenommen haben, sie mit anderen zu teilen und nicht zu verkaufen", sagte er.
Zu einem Schusswechsel mit Plünderern soll es im Dorf Abucay gekommen sein. Sicherheitskräfte und bewaffnete Männer, die Geschäfte und Lagerhäuser unter anderem nach Lebensmitteln und Wasser durchforstet hatten, lieferten sich einem Fernsehbericht des Lokalsenders ANC zufolge ein Feuergefecht.
Neues Unwetter und schleppende Versorgung
Der heftige Dauerregen und anhaltende Probleme bei der Versorgung mit Hilfsgütern haben das Leid von Hunderttausenden Taifun-Überlebenden auf den Philippinen weiter vergrößert. Zwar kommt endlich die dringend erwartete Hilfe für hunderttausende Taifun-Opfer auf den Philippinen in Gang – doch am Dienstag bedrohte ein neues Unwetter die Rettungsarbeiten. Die ersten Ausläufer von Tropensturm "Zoraida" setzten am Dienstag weite Teile des verwüsteten Katastrophengebietes unter Wasser.
Trümmerberge behinderten den Abfluss des Wassers. Viele Menschen, die seit Tagen nur unter notdürftig zusammengebauten Dachresten oder Plastikplanen leben, standen in der verwüsteten Stadt Tacloban teils knietief in einer durch Fäkalien, Kadaver und Müll verseuchten stinkenden Brühe. Soldaten mussten hunderte Menschen zurückhalten, die in strömendem Regen auf das Rollfeld drängten. Diese hofften, mit einer der Militärmaschinen aus dem Katastrophengebiet zu entkommen.
Sicherheitskräfte erschossen zwei Rebellen
Philippinische Rebellen haben am Dienstag einen Hilfskonvoi auf dem Weg in die Taifun-verwüstete Stadt Tacloban angegriffen. Soldaten hätten das Feuer auf die etwa 15 Aufständischen eröffnet und zwei Angreifer getötet, sagte eine Militärsprecher. Ein dritter Angreifer sei verletzt worden.
Der Vorfall ereignete sich den Angaben zufolge in Matnog, 240 Kilometer vor Tacloban. Bei den Angreifern habe es sich um Mitglieder der Neuen Volksarmee gehandelt, des militanten Arms der Kommunistischen Partei der Philippinen, sagte der Militärsprecher.
Tacloban selbst, wo am Freitag nach UN-Schätzungen mehr als 10.000 Menschen von Taifun "Haiyan" in den Tod gerissen wurden, war in den vergangenen Tagen bereits Schauplatz gewaltsamer Plünderungen. Am Dienstag galt ein Ausgangsverbot, Sicherheitskräfte patrouillierten mit gepanzerten Fahrzeugen in den Straßen. Soldaten und Polizisten errichteten zahlreiche Straßensperren, um der Gewalt ein Ende zu setzen.
Präsident Aquino rechnet mit 2.000 bis 2.500 Toten
Der philippinische Präsident Benigno Aquino geht inzwischen von 2.000 bis 2.500 Toten aus. Das sagte das Staatsoberhaupt des südostasiatischen Inselstaats am Dienstag dem US-Fernsehsender CNN. Die anfänglichen Schätzungen von etwa 10.000 Toten scheinen zu hoch gewesen zu sein, wie Aquino meinte.
Queen Elizabeth II. übermittelte Mitgefühl
Die britische Königin Elizabeth II. hat sich "zutiefst traurig" über die Folgen der Katastrophe gezeigt. Allen Betroffenen sende sie auch im Namen ihres Ehemanns Prinz Philip ihr "herzliches Beileid", hieß es am Dienstag in einer Botschaft an den philippinischen Präsidenten Benigno Aquino. Ein Palastsprecher teilte zudem mit, dass der Hof sich an der in Großbritannien gestarteten Spendenaktion beteiligen werde.
Binnen 15 Stunden wurden in Großbritannien Spenden im Umfang von umgerechnet knapp 1,8 Millionen Euro eingesammelt. Wie viel das Königshaus spenden will, wurde nicht mitgeteilt.
40 Prozent der Betroffenen sind Kinder
Der Wirbelsturm soll nach ersten Einschätzungen Schäden von bis zu 15 Milliarden US-Dollar verursacht haben. Die UN riefen zu Spenden in Höhe von rund 300 Millionen US-Dollar auf. Weile viele Krankenhäuser zum Teil komplett zerstört wurden, warnt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) vor dem Ausbruch von Seuchen. Die Verletzten und die Traumatisierten bräuchten dringend Medizin und ärztliche Betreuung. Zudem würden in betroffenen Gebieten in diesem Monat noch etwa 12.000 Kinder zur Welt kommen. Bei diesen Geburten seien Komplikationen zu erwarten.
Etwa 40 Prozent der Betroffenen sind Kinder. Auch das SOS-Kinderdorf in Tacloban wurde durch den Taifun stark beschädigt. 72 Kleinkinder wurden mittlerweile in ein anderes Kinderdorf nach Calbayog gebracht, ältere Jugendliche seien aber in der zerstörten Region geblieben, um beim Aufbau und Verteilung der Hilfsgüter zu helfen, heißt es in einer Aussendung. Darüber hinaus kümmert sich die Organisation um jene Kinder, die allein herumirren, und nimmt sie in ihre Obhut, bis ihre familiäre Situation geklärt ist.
Erdbeben erschüttert Philippinen
Nach dem Taifun hat sich am Dienstag um 13.21 Uhr Ortszeit ein Erdbeben der Stärke 4,8 in der Region der Philippinen ereignet. Das Epizentrum befand sich auf Bohol, einer Insel der Region Visayas. Dort war zuletzt am 15. Oktober ein starkes Erdbeben der Stärke 7,2 aufgetreten.
Kein Kontakt zu Salzburger auf den Philippinen
Eine Salzburgerin hat seit dem Taifun keinen Kontakt mehr zu ihrem 32-jährigen Sohn, der sich auf den Philippinen aufhält. Ob der Mann von der Sturmkatastrophe betroffen ist, ist unklar. Marianne Kapl weiß nicht einmal, in welchem Teil des Landes sich ihr Sohn zum Zeitpunkt des Taifuns aufgehalten hat, berichtete der ORF in Radio Salzburg am Dienstag. "Normalerweise hätte er sofort angerufen", sagte die besorgte Mutter aus Großgmain (Flachgau). Der letzte Kontakt sei bereits am Freitag vor Allerheiligen gewesen. Die Salzburgerin hat sich an das Philippinische Konsulat und an das Außenministerium in Wien gewandt.
500.000 Euro Soforthilfe von Österreich
Die österreichische Regierung stellt für Hilfsmaßnahmen 500.000 Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds zur Verfügung. Die Mittel gehen an die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften, die sich in Zusammenarbeit mit der lokalen Rotkreuzgesellschaft um die Erstversorgung der betroffenen Zivilbevölkerung kümmert. Das gab das Außenministerium am Dienstag bekannt.
55.000 Nahrungsmittelpakete täglich
"Die Probleme sind immens, das Gebiet ist riesig, aber wir tun alles Menschenmögliche", versicherte Innenminister Mar Roxas. "Die gute Nachricht ist, dass der Mobilfunk wieder funktioniert." 55.000 Nahrungsmittelpakete für Familien sollen jeden Tag verteilt werden. Die Versorgung ist aber längst noch nicht ausreichend. Immer mehr Menschen strömen aus dem Umland nach Tacloban, weil ihre Regionen am Freitag von Taifun "Haiyan" zerstört wurden. Dort kamen zunächst keine Hilfskonvois an.
Die Europäische Union hat die Hilfe von drei auf zehn Millionen Euro aufgestockt, wie der Entwicklungskommissar Andris Piebalgs in Manila sagte: "Das Ausmaß der Schäden ist noch unklar, aber eines steht fest: Die Lage ist katastrophal." Überall haben verzweifelte Überlebende Hilferufe an Container und Hauswände gemalt: "Wir brauchen Essen!", "Rettet uns!", "Hilfe!" steht da.
Strom erst wieder in zwei Monaten
Auf Strom werden die Menschen noch mindestens zwei Monate warten müssen, sagte Energieminister Jericho Petilla im Fernsehen. Zu viele Strommasten seien umgestürzt. Weil auch Tankstellen zerstört wurden, musste der Benzinverkauf auf der Insel Leyte rationiert werden. (DER STANDARD/APA, 13.11.2013)