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Bisin das Jahr 2030 werden rund 552 Millionen Menschen weltweit Diabetiker sein.

Der menschliche Körper ist ein hochkomplexes System, das stets mit der Umwelt interagiert. Das feine Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren ist wunderbar, wird allerdings dann zum Problem, wenn zentrale Funktionen gestört sind und von außen manipuliert werden sollen. Diabetes ist das beste Beispiel. Wenn die Bauchspeicheldrüse kein oder nicht ausreichend Insulin produziert, kann der Körper keine Energie mehr aus der Nahrung aufnehmen.

"Wir konstruieren Moleküle, die den menschlichen Insulinhaushalt simulieren. Die Substanz allein ist nicht das Problem, es geht um die Orchestrierung im Körper", sagt Peter Kurtzhals, Vizepräsident der Forschungsabteilung Diabetes beim dänischen Pharmakonzern Novo Nordisk.

Um zu verstehen, woran Diabetes-Forscher heute arbeiten, hat man die Pforten der Fabriksanlagen in Kalundborg ganz im Westen des Landes geöffnet. Dort, wo auf flachen, grünen Wiesen Kühe grasen, liegt eine der weltweit größten Produktionsanlagen für Insulin.

Ein Drittel des Weltmarktbedarfs

Novo Nordisk teilt sich einen wachsenden Markt mit nur zwei Mitbewerbern - Sanofi und Eli Lilly. Anders als die Konkurrenz wird Insulin nicht mittels Bakterien, sondern aus Hefe gewonnen. "Wir sind keine Chemiefabrik, sondern eine riesige Fermentationsanlage," sagt Novo-Nordisk-Vorstandsvorsitzender Lars Rebien Sørensen und ist stolz, dass ein Drittel des Weltmarktbedarfs aus diesen Anlagen kommt - Tendenz steigend, weil auch die Zahl der zuckerkranken Patienten massiv steigt.

Gab es 2011 weltweit 366 Millionen Diabetiker, werden es bis 2030 rund 552 Millionen sein, wie eine Studie von Transparency Market Research im Juni ergab. Dementsprechend wächst der Bedarf an Insulin. Betrug der globale Markt 2011 noch neun, wird er 2018 auf über 24 Milliarden Euro angewachsen sein.

"Vor 90 Jahren war Diabetes eine Krankheit, die nur Kinder hatten, mittlerweile sind 95 Prozent unserer Patienten Erwachsene, auch vermehrt junge Erwachsene werden, weil Diabetes eine Folgeerkrankung von starkem Übergewicht ist," erklärt Sørensen eine Erkrankung, auf deren Behandlung sich Novo Nordisk spezialisiert hat.

Historischer Durchbruch

In den letzten 90 Jahren ist diesbezüglich viel passiert. Das dänische Forscherpaar August und Marie Krogh legte den Grundstein für die Insulinforschung in Dänemark, als es auf einer USA-Reise 1922 in Yale das von den Kanadiern Frederick Banting und Charles Best isolierte Hormon Insulin kennenlernte.

Dass es sich durch Insulin aus der Bauchspeicheldrüse von Rindern ersetzen ließ, rettete ab 1923 vielen Menschen das Leben. Der Nachteil: Gegen Rinderinsulin bilden sich mit der Zeit Antikörper, auch bessere Reinigungsmethoden schafften das Problem nicht gänzlich aus der Welt.

Zentral bis heute ist die Tatsache, dass der Zuckerhaushalt kein stabiler Wert ist, sondern sich ständig verändert und mit einmaligen Insulingaben nur unzulänglich gut gemanagt werden kann. Als es den Wissenschaftern bei Novo Nordisk gelang, durch ein aus dem Sperma der Bachforelle gewonnenes Protein namens Protamin die Wirkung von Insulin im Körper zu verlängern, wurde das als Meilenstein gefeiert.

Sauberer als Operationssäle

Durch die Fortschritte der Gentechnologie wird Insulin heute längst nicht mehr aus tierischen Bauchspeicheldrüsen gewonnen. Biotechnologisch manipulierte Hefe erzeugt bei Novo Nordisk das für Menschen gut verträgliche Insulin. Insulin-Analoga ist der Fachbegriff für jene Medikamente, die im Labor designt und in riesigen Tanks gezüchtet und dann vermehrt werden. Der Prozess erinnert ans Bierbrauen, allerdings sind die Hallen in Kalundborg sauberer als Operationssäle. Fotografieren ist überall strengstens verboten, jede Maschine ist ein Betriebsgeheimnis für sich.

Wenn Chefforscher Kurtzhals von Orchestrierung des Blutzuckers spricht, meint er, dass an unterschiedlich lang wirksamen Insulinarten geforscht wird. Zwar spritzen sich Diabetiker schon heute einmal täglich langanhaltendes Basisinsulin als eine Art Grundversorgung und federn vor bzw. nach den Mahlzeiten den Bedarf durch zusätzliche Insulindosen ab.

"Je größer wir Moleküle machen, umso eher können sie im Blut als zirkulierende Aggregate eingesetzt werden", erklärt er. Wenn die Wissenschafter bei Novo Nordisk von mehr Sicherheit der Medikamente sprechen, meinen sie, dass individuelle Schwankungen des Blutzuckerspiegels noch besser als bisher abfangen werden können.

Volatile Systeme

Viele Patienten fürchten vor allem die nächtlichen Hypoglykämien, eine Insulinunterversorgung. "Es ist ja nicht möglich, Patienten ständig ihren Blutzuckerspiegel messen zu lassen, das beeinträchtigt die Lebensqualität", sagt die Anthropologin Ida Vesterdal, die für Novo Nordisk das Patientenverhalten erforscht.

Dass tägliches Spritzen eine Belastung für Patienten ist, wissen die Forscher und arbeiten an benutzerfreundlichen Darreichungsformen. Darüber hinaus wird aber auch an neuen Wirkprinzipien von Insulin geforscht. Das Ziel: sich in Zukunft nicht täglich, sondern nur mehr einmal pro Woche das Basisinsulin verabreichen zu müssen.

Die Zukunftshoffnung sind für Kurtzhals jedoch Stammzellen, die per Infusion einmal im Jahr verabreicht würden und sich im Körper zu Insulin produzierenden Zellen verwandeln. "Wir wissen nicht, wie schnell das Immunsystem solche Stammzellen zerstören würde", sagt er und schätzt, dass bis zur Marktreife noch acht bis 15 Jahre vergehen werden.

Schlüsselrolle Peptid GLP-1

Eine ebenso zukunftsträchtige, aber zeitnähere Alternative wäre Insulin als Tablette. Daran arbeitet Novo Nordisk auf Hochtouren. Die Schwierigkeit: Damit Insulin nicht von den Magensäuren zerstört wird, muss es speziell verpackt sein. "Coating" ist der Fachbegriff für diese Art von Pillenglasur, die erst in bestimmten Teilen des Verdauungstraktes die Wirkstoffe freisetzt.

Eine Schlüsselrolle im Zuckerstoffwechsel und Ausgangspunkt für Forschung spielt das Peptid GLP-1, das der Bauchspeicheldrüse Insulinbedarf signalisiert. "Es wäre cool, wenn Diabetiker Insulinmedikamente als Depots im Körper hätten, die sich nur dann aktivieren, wenn der GLP-1 zu hoch ist", sagt Kurtzhals, so könne man auch die Restfunktionen der Bauchspeicheldrüse ins Kalkül ziehen - für die wachsende Zahl von unterschiedlich ausgeprägtem Diabetes eine wichtige Vision. (Karin Pollack, DER STANDARD, 12.11.2013)