Wien/Reykjavik - Was Österreichs A-Team verwehrt blieb, haben Islands Wikinger geschafft. Das Fußballnationalteam der Vulkaninsel knapp südlich des nördlichen Polarkreises steht sensationell im Playoff um ein Ticket für die Weltmeisterschaft 2014. Die letzte Hürde auf dem Weg nach Brasilien bildet Kroatiens Team, das am Freitag Reykjavik beehrt und am Dienstag zum Rückspiel in Zagreb lädt. Sollte Island, die Nummer 46 der FIFA-Weltrangliste, dieses Hindernis überwinden, wäre die erste WM-Teilnahme des kleinen Landes im Nordatlantik Realität.
178 Millionen vs. 35 Millionen
Kroatien, die Nummer 18 der Weltrangliste, gilt in dem Duell freilich als haushoher Favorit. Der Marktwert des Teams von Niko Kovac beläuft sich laut transfermarkt.at auf 178 Millionen Euro. Real-Madrid-Legionär Luka Modrić wird allein auf 35 Millionen Euro geschätzt, was ziemlich genau dem Wert des gesamten isländischen Teams entspricht. Nur 22.000 aktive Kicker sind im Verband registriert, in Deutschland gibt es 25.456 Fußball-Vereine.
Wie schwierig die Realisierung des Projekts Brasilien einzuschätzen ist, weiß auch "Jahrhundert-Fußballer" Ásgeir Sigurvinsson. Eine WM-Qualifikation wäre eine Sensation", sagte er. Der "Eismeer-Zico" wechselte als einer der ersten Spieler Islands ins Ausland zu Standard Lüttich, war nach einer Saison bei den Bayern auch von 1982 bis 1990 beim VfB Stuttgart engagiert und durfte sich 1983/84 sogar deutscher Meister nennen.
Galionsfigur
Heute ist der mittlerweile 35-jährige Rekord-Torjäger (24 Treffer) Eidur Gudjohnsen vom FC Brügge die ballesterische Galionsfigur, er absolvierte in sechs Ligen 469 Spiele (112 Treffer), wurde mit Chelsea englischer Meister und gewann mit dem FC Barcelona die Champions League. An der Seite des Routiniers tummeln sich aber auch noch einige weitere namhafte Akteure wie die in den Niederlanden engagierten Offensivkräfte Kolbeinn Sigthorsson (Ajax), Johann Berg Gudmundsson (Alkmaar) und Alfred Finnbogason (Heerenveen), oder Mittelfeldmotor Gylfi Sigurdsson, der bei Tottenham unter Vertrag steht und mit einem Marktwert von acht Millionen Euro Islands teuerster Profi ist.
"Wir spüren eine Menge Aufregung ringsherum", sagte Sigurdsson. 18 Fernsehteams werden in Reykjavík erwartet, darunter auch Crews aus Malaysia, Thailand und Australien. Island fiebert dem Showdown entgegen und hofft auch auf den Heimvorteil. "Die Kroaten müssen sich warm anziehen", sagte Eyjölfur Sverrisson. Der frühere Profi beim VfB Stuttgart und Hertha BSC nahm damit vermutlich nicht nur auf das für Freitag prognostizierte Winterwetter Bezug. Als Trainer des isländischen U21-Teams sorgte er 2010 für Furore, damals wurde in der EM-Qualifikation Deutschlands Nachwuchs mit 4:1 bezwungen.
Nun findet sich ein Großteil jener Spieler im Kader von Lars Lagerbäck. Dem Schweden eilt der Ruf eines Taktikfuchses voraus. Der Coach hat das Drei-Kronen-Team zwischen 2002 und 2008 zu vier Endrunden geführt. Nach gescheiterter Quali 2010 betreute er Nigeria bei der WM in Südafrika.
Aufschwung
Nationalsport Nummer eins auf dem mit rund 103.000 km² zweitgrößten Inselstaat Europas ist aber weder Fußball noch Eisfischen, sondern Handball. Erst als rund um die Jahrtausendwende der Sporthallenbau forciert und der Kick somit das ganze Jahr hindurch möglich wurde, begann ein Aufschwung des weltweit wesentlich populäreren Ballspiels, der vorerst im Erreichen der Barrage gipfelt und bei den rund 320.000 Einwohnern Wirkung zeigt. Das maximal 15.000 Zuschauer fassende Nationalstadion Laugardalsvöllur in Islands Hauptstadt war binnen weniger Stunden ausverkauft.
Island fixierte in der Quali-Gruppe E durch ein 1:1 in Norwegen am letzten Spieltag mit 17 Punkten den zweiten Platz hinter Gruppensieger Schweiz (24) und hielt damit die höher eingeschätzten Teams aus Slowenien (15) und Norwegen (12) sowie Albanien (11) und Zypern (5) hinter sich. Eines der bemerkenswertesten Spiele war das 4:4 in Bern gegen die Schweiz nach 1:4-Rückstand.
Vergangenheit
Bei der Quali für die WM 2010 belegten die Isländer hinter Gruppensieger Niederlande, Norwegen, Schottland und Mazedonien nur den letzten Platz. In der Quali für die WM 2006 in Deutschland trafen Kroatien und Island schon einmal aufeinander. Damals setzte es für die Insulaner eine 0:4-Auswärtsniederlage und daheim ein 1:3. Statistisch spricht nicht viel dafür, dass die Wikinger rund 1000 Jahre nach ihrem vermutlich ersten Kontakt mit dem Kontinent wieder nach Südamerika reisen werden. (Thomas Hirner, DER STANDARD, 15.11.2013)
WM-Qualifikations-Playoff, Hinspiele am Freitag:
Piräus (20:00 Uhr): Griechenland - Rumänien
Kiew (20:45): Ukraine - Frankreich
Lissabon (20:45): Portugal - Schweden
Reykjavik (20:45): Island - Kroatien