Naomi Campbell in einem Mohairpulli von Emporio Armani und einem Seidenslip von Dolce & Gabbana.

Foto: Gustavo Papaleo

Satinbluse von Carine Gilson, perlenbesetzter Rock von a selection.

Foto: Gustavo Papaleo

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Foto: Rione Magnusson für Johnér Images / Corbis

Sie kommt zu spät. Natürlich kommt sie zu spät. Das gehört zu ihren Markenzeichen - genauso wie unwiderstehlich gut auszusehen. Als Naomi Campbell dann kommt, ist es zwei Stunden und 51 Minuten nach der vereinbarten Zeit. Sie trägt ein Kleid und Gladiatorensandalen von Azzedine Alaia, Sonnenbrillen, wie sie nur Diven tragen, das Telefon am Ohr.

Die Crew beobachtet jeden ihrer Schritte auf dem Weg in die Garderobe. Ihre Hüften schwingen in diesem charakteristischen Eins-zwei-Rhythmus, den Vogue einmal als "magischen Laufsteg-Boom-Boom" bezeichnete. In den kommenden Stunden wird sie in eine Hitchcock-Heldin verwandelt werden.

Naomi Campbell: Das sind hervorstechende Wangenknochen und weit geschwungene Lippen. Ein ausgeprägter Po, lange, nicht enden wollende Muskelstränge. 43 Jahre alt. Ein Supermodel. Und das, noch bevor sie sich in den Schminksessel setzt.

Sie fürchtet sich vor gar nichts

In Wahrheit hat Campbell das Model-Etikett schon vor langer Zeit abgelegt. Nelson Mandela hat sie in sein Herz geschlossen, sie trat in Musikvideos von Bob Marley und George Michael auf, zu ihren Exfreunden gehören Robert De Niro und Mike Tyson. Von diesem stammt auch eine der Beschreibungen Campbells, die sie am besten treffen: "Sie fürchtet sich vor gar nichts", sagte er einmal, als sie noch zusammen waren.

In den Jahren zwischen 1998 und 2008 war Campbell ein Dauergast in der Boulevardpresse. Sie gab zu, ihre Assistentin mit ihrem Mobiltelefon geschlagen zu haben, ihrer Haushälterin ein mit Brillanten besetztes Blackberry nachgeworfen, zwei Polizisten am Londoner Flughafen Heathrow beleidigt zu haben, weil ihr Gepäck verlorenging. Daraufhin durfte sie fünf Jahre nicht mehr mit British Airways fliegen.

Reue zeigte sie nicht wirklich: Als sie im Rahmen einer ihrer Strafen die Gehsteige von New York kehren musste, wurde sie vom Fotografen Steven Klein begleitet, der sie in ihrer bodenlangen Silberrobe von Dolce & Gabbana für das W-Magazin fotografierte. Die Botschaft war klar: Ihr könnt mit mir machen, was ihr wollt, aber ich werde immer Naomi Campbell bleiben. Als sie 2010 beim Prozess gegen Charles Taylor bezüglich dessen Blutdiamanten aussagen musste, war sie angezogen wie eine Südstaatenkönigin. Ihre Zeit im Zeugenstand beschrieb sie später als "äußerst unangenehm".

Jetzt, ein Vierteljahrhundert nach ihrem ersten Vogue-Cover, beginnt ein neuer Abschnitt in der Karriere der Naomi Campbell: Sie ist Produzentin und Teilnehmerin in der britischen TV-Show The Face, in der es darum geht, dass sie und zwei andere Promis Model-Anwärterinnen unter ihre Fittiche nehmen. Campbell muss die Rolle des liebenswerten Schurken geben. "Ich bin nicht Jurorin in der Show, sondern Mentorin. Ich möchte nicht, dass die Träume einer jungen Frau wegen mir zerstört werden. Ich möchte im Gegenteil dabei helfen, sie zu verwirklichen." Die Zicke vom Dienst als mitfühlende Pädagogin?

Fotos gefallen nicht

Das Fotoshooting dauert schon ziemlich lange. Immer wieder muss Campbell ans Telefon, und als sie dann die Fotos zu Gesicht bekommt, gefallen sie ihr nicht. Sie ruft Leute aus ihrem Team an, die kommen sollen, damit das Ganze so wird, wie sie sich das vorstellt. Auch wenn Campbell in der Öffentlichkeit ein freundlicheres Gesicht zeigt: Niemand wird behaupten, sie hätte ihre Ecken und Kanten verloren. "Jeder macht in seinem Leben Fehler", sagt sie, "es geht darum, daraus zu lernen."

Im Sommer 1985 war Campbell ein 15-jähriger Teenager aus Streatham, im Süden Londons. Bei einem Einkaufsbummel in Covent Garden sprach sie ein Modelagent an. Noch vor ihrem 16. Geburtstag war sie bereits auf dem Cover der britischen Elle. "Ich hatte keine Ahnung, was es bedeutet, ein Model zu sein. Mein Taschengeld gab ich nicht für Magazine aus. Ich kannte nicht einmal diese typischen Posen der Models. Also machte ich das, was ich aus dem Tanzunterricht kannte: Ich sprang in die Luft, und den Fotografen gefiel es." Ein Jahr später in Paris lief ihr dann ihr Mentor über den Weg. Bei einem Fotoshooting für die französische Elle verschwanden ihr Geld und ihr Pass. Ein anderes Model, das auch beim Shooting dabei war, traf sich am Abend mit dem Designer Azzedine Alaia zum Essen. "Sie nahm mich einfach mit. Seit diesem Essen passt Azzedine auf mich auf. Ich nenne ihn Papa."

Als Model, erzählt sie heute, habe sie von den ganz Großen gelernt. "Yves Saint Laurent hat mich sehr unterstützt. Er hat kaum mit uns gesprochen, und wir sollten ihn ja nicht ansprechen. Ich habe es trotzdem gemacht. Auch Gianni Versace war eine große Hilfe für die Models. Wann immer er einen Preis gewonnen hat, wollte er, dass wir dabei sind. Noch heute sind Donatella und Allegra wie eine Familie für mich. Wir machen sogar gemeinsam Ferien." Eine der wichtigsten Menschen in Campbells Leben ist aber Nelson Mandela. Am Tag des Fotoshootings liegt er in kritischem Zustand im Krankenhaus. "Ich bin jeden Tag mit ihm in Kontakt", sagt Campbell, "er ist ein starker Mann."

Goldenes Zeitalter der Models

Die 1980er- und 1990er-Jahre waren die Hochzeit von Naomi Campell. "Ein goldenes Zeitalter für Models", wie sie heute sagt. "In meiner Ära bekam man vor einer Show einen Anruf von John Galliano, der einem erzählte, wie das Ganze ablaufen sollte und was man davon halte. Als Model kannte man die Inspiration eines Designers, wir verstanden die Kollektion, wir kannten ihren Hintergrund." Je größer das ganze Modebusiness wurde, um so unwichtiger seien die Models geworden. "Models wie ich, Christy (Turlington, Anm.) oder Linda (Evangelista) hatten deswegen auch eine ganz andere Bedeutung als die Models heute, weil wir mit den Designern eng zusammenarbeiteten. Und natürlich auch mit Fotografen wie Steven Meisel oder Mario Testino. Die Designer haben einen persönlich bei Castings ausgewählt, wir sind zusammen zum Essen und in Clubs gegangen. Heute gibt es Castingdirektoren und Produktionsfirmen. Da klafft eine riesige Lücke zwischen den Models und den Designern."

Im Besonderen ist Campbell über die Marginalisierung von Models mit schwarzer Hautfarbe besorgt. Zu ihrer eigenen Zeit wurden Models mit verschiedenen ethnischen Hintergründen auf den Titelseiten von Magazinen und auf dem Laufsteg regelrecht gefeiert. Im letzten Jahrzehnt wurde der Prozentsatz nichtweißer Gesichter aber immer kleiner. "Ich fühle mich verantwortlich für junge schwarze Models. Sie erzählen mir, dass sie kaum Jobs bekommen. Heuer ist die Situation besonders trist, und das nehme ich persönlich. Ich bin seit 27 Jahren in diesem Business, und die Situation hat sich einfach nicht verbessert. Das schockiert mich." Gemeinsam mit Iman und Bethann Hardison, einem berühmten schwarzen Model aus den 1970er-Jahren, das heute eine Modelagentur betreibt, hat Campbell eine Initiative gegen Diskriminierung schwarzer Models gegründet. "Wir müssen uns einfach wehren, und das können wir auch."

"Ich bereue nichts"

Naomi Campbell selbst arbeitet heute nur noch in Ausnahmefällen als Model. Auf dem Laufsteg ist sie so gut wie nie, und wenn, dann nur auf ausdrücklichen Wunsch eines Designers zu sehen - zuletzt etwa bei der Couture-Show von Versace im Juli.

Sieben Stunden dauert das Shooting. Kein einziges Mal erhebt Campbell die Stimme. Auf einem Set, vor den Augen einer Crew, wird sie zu einer Eiskönigin: Ihre Augenbrauen gehen noch weiter nach oben, immer wieder fallen schnippische Nebenbemerkungen. Sie erinnert ein wenig an Cate Blanchett oder an Tilda Swindon, wenn sie eiskalte Märchenfiguren spielen. Wie aber sieht sie selbst sich? Glaubt sie, dass die öffentliche Meinung über ihren Charakter gerechtfertigt ist? "Jeder ist manchmal gereizt. Was kümmert mich, was andere über mich denken? Ich habe meine Fehler gemacht, aber ich bereue nichts. Ich bin sehr glücklich, wie ich heute bin. Ich bin immer noch sehr instinktiv, aber auch sehr wachsam."

Für einen Moment schweigt sie. "Bin ich rechthaberisch? Natürlich bin ich das! Ich will nicht verlieren, und wenn jemand Nein sagt, dann finde ich einen Weg, damit er Ja sagt. Aber ich bin loyal. Und ich bin großzügig." Ein Model benötige mehr Willensstärke, als die meisten Menschen glauben. "Man muss einen Weg vorgeben, man darf seine Fassung nicht verlieren, muss Haltung bewahren. Aber man muss auch seinem Charakter treu bleiben. Das ist auch das, was ich jungen Models sage: Ihr steht in Konkurrenz zueinander. Ihr seid nicht hier, um Freunde zu finden. (Jess Cartner-Morley, Rondo, DER STANDARD, 15.11.2013)