Das Rollenverständnis des investigativen Journalismus hat sich geändert, erklärt "Falter"-Chefredakteur Florian Klenk im Medienquartett auf Okto. Ohne Vernetzung gibt es heute keinen investigativen Journalismus. "Früher war der investigative Journalist dieser verrückte Kerl, der irgendwo in einer Ecke einer der Redaktion gesessen ist, hinter Akten versunken, und einmal im Monat einen Coup geschrieben hat", sagt Klenk. In Zeiten einer globalisierten, internationalen Kriminalität und Korruption hingegen sei es wichtig, sich zu vernetzen, miteinander zu recherchieren und professionelle Standards zu entwickeln.

Zeitaufwendiges "Geschenk"

Vernetzt hat sich auch das Internationale Konsortium für Investigativen Journalismus (ICIJ) in Washington, um die Geschäfte in Steueroasen transparent zu machen. Einer jener Journalisten, die die Offshore Leaks recherchierten, ist Frederik Obermaier. Der Redakteur im Ressort Investigative Recherche der "Süddeutschen Zeitung" nennt die Leaks ein "Geschenk", das eine weltweite Debatte ausgelöst habe. Solche Recherchen seien ohne viel Zeit und finanziellen Spielraum nicht möglich. Rahmenbedingungen, die es nicht in jeder Redaktion gibt. "Dadurch steigt auch der Druck", sagt Obermaier. "Wir hatten zwischendrin schon Angst", nach monatelanger Arbeit am Ende ohne Geschichte dazustehen.

Medienquartett auf Okto mit den Investigativjournalisten Florian Klenk und Frederik Obermaier. Die Fragen stellen Rubina Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Grenzen Österreich, und Philosophin Herlinde Pauer-Studer.

Nachdenken statt "Aufganseln"

Klenk warnt Journalisten davor, sich, "elektrisiert von der schieren Flut an Daten", gegenseitig "aufzuganseln". Man müsse sich auf die Kernkompetenz besinnen, den intellektuellen Akt des Nachdenkens: "Was ist der Skandal, was ist der Missstand, was ist von öffentlichem Interesse."

Ohne Ziel gehe es dabei nicht. "Wenn wir über Finanzminister Grasser schreiben, dann schreiben wir nicht deshalb darüber, weil wir Spaß daran haben, ihn durchs Dorf zu treiben, sondern weil wir wollen, dass der Chef der Finanzbehörde die Grundregeln, die er gepredigt hat, auch selbst einhält", sagt Klenk. Das Ziel sei auch, was investigative Journalisten von Tagesberichterstattern oder Agenturjournalisten unterscheide. "Der Agenturjournalist sitzt in einem Strom unendlicher Nachrichten, die er ein bisschen verändert wieder hinausschickt." Der investigative Journalist hingegen erzähle "eine Geschichte mit einem Anfang und einem Ende, und einem subjektiven Ziel".

Verzweifelte Politik

Nicht immer ist das ein klassischer Journalist. Glenn Greenwald, der mit dem "Guardian" die NSA-Affäre ins Rollen brachte, sei ursprünglich "ein gelernter Anwalt, der sich als Kommentator bei einer Zeitung versucht hat", so der "Falter"-Chefredakteur. Der Fall Edward Snowden zeige auch, "dass man Berichterstattung nicht mehr verhindern kann. Wenn Cameron sagt, wir müssen die Medien dazu bringen, dass sie aufhören über diese Geheimdienstdateien zu schreiben, dann klingt das nur lächerlich", sagt Klenk. Wenn man, wie beim "Guardian" geschehen, Medien zwingt, Festplatten zu zerstören, dann sei das ein "verzweifelter Versuch", ein "symbolischer Akt". Denn vernetzter investigativer Journalismus verteile Daten längst an Journalisten an verschiedenen Orten.

Technische Entwicklungen wie jene, Daten beliebig zu vervielfältigen, hätten den investigativen Journalismus "wieder ein Stück weitergebracht", so Klenk. Für Obermaier eine Entwicklung, die auch aufzeigt, dass sich "niemand mehr sicher sein" kann. Informanten reicht "jetzt ein kleiner USB-Stick", um "zig Gigabyte Daten" an investigative Journalisten weiterzureichen. (Sabine Bürger, derStandard.at, 12.11.2013)