Wien - Es sind schwindelerregende Beträge, die genannt werden. Das Budgetloch mache in den kommenden fünf Jahren bis zu 40 Milliarden Euro aus, war von Experten zu hören. Die Regierungsparteien dürften es nun mit 20 bis 30 Milliarden Euro beziffern. Bei einer Wirtschaftsleistung (BIP) von etwas über 300 Milliarden Euro könnte man in Versuchung geraten, Parallelen zu Griechenland, Spanien und Portugal zu ziehen.

Für übertriebenen Alarmismus besteht bei nüchterner Betrachtung der Fakten allerdings kein Grund. Zum einen handelt es sich um kumulierte Beträge. Wird also eine neue Steuer - etwa eine Erbschaftssteuer - eingeführt, die pro Jahr eine Milliarde bringt, wäre binnen fünf Jahren bereits ein knappes Viertel des Konsolidierungsbedarfs aufgebracht. Selbiges trifft natürlich auch zu, wenn man eine Milliarde an Staatsausgaben dauerhaft streicht.

An die Grenzen der Belastbarkeit müsste man dafür keineswegs gehen. So rechnete das Wifo im Jahr 2010 vor: Allein durch die Reduktion der Unternehmensförderungen auf den europäischen Durchschnitt käme man auf ein Einsparungsvolumen von neun Milliarden pro Jahr.

Zum anderen hat der Wiener Bürgermeister Michael Häupl nicht ganz unrecht, wenn er sagt, es gebe kein Budgetloch, sondern ein Prognoseloch. Die aktuellen Steuereinnahmen sind nämlich durchaus im Plan. Bis September (die aktuellsten Zahlen) wurden rund 55 Milliarden Euro eingenommen. Das ist um fast vier Milliarden mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Zur Orientierung: Am Jahresende sollen die Steuereinnahmen laut Haushaltsplan um drei Milliarden über jenen des Jahres 2012 liegen. Trotz Rückschlägen bei der Finanztransaktionssteuer und der Abgeltungssteuer aus der Schweiz sieht das laufende Jahr also nicht so schlecht aus.

Den Vorwurf, nicht mit der angemessenen Sorgfalt geplant zu haben, muss sich Finanzministerin Maria Fekter aber natürlich trotzdem gefallen lassen. Das zeigt sich an mehreren Fronten: 

Banken

Seit längerem ist klar, dass die Hypo den Staat auch in den Folgejahren noch Milliarden Kosten wird. Zwar ist es auch für Bankexperten schwierig, exakte Zahlen vorzulegen. Keine weiteren Hilfen in der Mittelfristprognose zu berücksichtigen, ist aber natürlich mehr als gewagt. Entgegen anderen Berichten sollte sich eine Tabula rasa bei der Hypo aber nicht auf das Rating der Republik auswirken. Die Anleger wissen ohnehin, dass die Steuerzahler zu 100 Prozent für die Kärntner Problembank geradestehen.

Konjunktur

Eindeutig belegt ist mittlerweile, dass die Koalition in ihrer letzten Finanzplanung für die Jahre 2014 bis 2017 nicht mit den aktuellsten Daten der Wirtschaftsforscher gearbeitet und Warnungen des parlamentarischen Budgetdienstes ignoriert hat. Dennoch muss auch hier festgehalten werden: Prognosen sind immer mit Vorsicht zu genießen - das gilt für die alte wie für die neuen der EU-Kommission. Je weiter sie in die Zukunft reichen, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass sie neuerlich revidiert werden müssen.


Momentan deutet freilich einiges darauf hin, dass die Wachstumsraten in Europa noch länger eher bescheiden bleiben werden. Auch die Europäische Zentralbank geht angesichts ihrer neuerlichen Zinssenkung offenbar davon aus. Es bestehen also eher "Downside"-Risiken, wie es in der Ökonomensprache heißt.

Pensionen

Heikler ist das Dauerthema Pensionen, für das die Regierung derzeit ebenfalls geprügelt wird. Die Pensionskommission sieht, wie berichtet, vor allem langfristig (bis 2050) ein Finanzierungsproblem. Kurzfristig gibt es Fragezeichen, wie viel die im Vorjahr eingeleitete Reform bei der Invaliditätspension bringen wird. Ähnlich wie bei der Konjunktur sind Vorhersagen über das künftige Verhalten der Senioren aber äußerst schwierig. Hinter vorgehaltener Hand wird freilich in SPÖ-Regierungskreisen sehr wohl eingestanden, dass man mit sehr optimistischen Annahmen operiert habe.

Sollten die erhofften Effekte - nämlich ein höheres Pensionsantrittsalter - nicht gleich im Jahr 2014 spürbar sein, wird die Regierung daher wohl kaum um neuerliche Verschärfungen herumkommen.

Ein Nulldefizit im Jahr 2016 ist angesichts derart vieler Unsicherheitsfaktoren mehr als ungewiss. Es sollte aber nicht vergessen werden, dass Österreich dazu gar nicht verpflichtet ist. Die europäischen Vorgaben - Stichwort Schuldenbremse und Sixpack - erlauben auch in Zukunft eine (eingeschränkte) Neuverschuldung. Das "strukturelle Defizit" darf demnach ab 2017 nicht über 0,45 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen. Was bei diesem technischen Begriff gerne übersehen wird: Konjunkturschwankungen werden beim "strukturellen" Minus herausgerechnet. In der Praxis werden also auch etwas höhere Defizite möglich sein, ohne dass gleich Sanktionen aus Brüssel drohen.

Außerdem arbeitet EU-Währungskommissar Olli Rehn bereits an Entschärfungen zu den Budgetvorgaben, die ebenfalls eine höhere Neuverschuldung ermöglichen würden. Für Investitionen in Infrastruktur und Forschung soll es demnach Ausnahmen geben.

Die Regierung hat also genügend Spielraum, das riesig wirkende Budgetloch ohne Kahlschläge à la Griechenland zu schließen. Ein Nulldefizit bereits im Jahr 2016 wäre die Kür, nicht die Pflicht. (Günther Oswald, derStandard.at, 13.11.2013)