Heidelberg - Deutsche Wissenschafter haben ein Protein entdeckt, das einen entscheidenden Beitrag zur Wundheilung leistet. Damit sich eine Wunde schließen kann, müssen Immunzellen und Reparaturmaterial über das Blut an den Ort des Geschehens gelangen. Ein Botenstoff namens VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor) stimuliert deshalb umliegende Blutgefäße dazu, in das verletzte Gewebe hineinzuwachsen.  Das nun identifizierte Eiweiß SYNJ2BP steuert diese Abläufe - und stellt gleichsam eine Bremse für VEGF dar.

Insgesamt ist das Wachstum neuer Blutgefäße ein komplexer Prozess, an dem viele unterschiedliche Signalstoffe beteiligt sind. Eine zentrale Rolle spielt der Wachstumsfaktor VEGF: Dockt er auf der Blutgefäß-Außenseite an den entsprechenden Rezeptor an, erhält diese Zelle das Signal, sich zu teilen. Es entsteht ein neuer Gefäßzweig mit einer sogenannten Tip-Zelle an der Spitze, der in Richtung der VEGF-Quelle wächst. Dabei produziert die Tip-Zelle auf ihrer Oberfläche ein Molekül namens DLL4, das in den benachbarten Blutgefäßzellen über Notch-Rezeptoren den so genannten Notch-Signalweg aktiviert. Die Folge: Die VEGF-Rezeptoren auf den Nachbarzellen verschwinden. In der Tip-Zelle bleibt der Notch-Signalweg inaktiv - somit kann nur die Tip-Zelle auf den Wachstumsfaktor reagieren.

Nicht nur bei der Wundheilung, sondern auch bei Krebs spielt VEGF eine entscheidende Rolle: Weil sich ein Tumor nur bis zu einer Größe von etwa zwei Millimetern mit Nährstoffen und Sauerstoff aus der Umgebung versorgen kann, muss er eigene Blutgefäße bilden. Dafür setzt er VEGF frei. "Zwar gibt es schon seit Längerem Medikamente, die den Wachstumsfaktor blockieren und so die Krebstherapie unterstützen", erklärte Andreas Fischer, der am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ/Heidelberg) eine Arbeitsgruppe leitet. Der Fachmann: "Einige bösartige Tumore entwickeln jedoch Resistenzen gegen diese VEGF-Hemmer. Deshalb suchen wir nach Wegen, die Wirkung von VEGF über den Notch-Signalweg zu unterdrücken."

Ins Visier der Wissenschafter geriet dabei ein Bindeprotein namens SYNJ2BP. "Aufgrund seiner Struktur haben wir vermutet, dass es an DLL4 bindet und dessen Wirkung entweder abschwächt oder verstärkt", erläuterte Gordian Adam in einer DKFZ-Aussendung vom Montag.

Fehlt SYNJ2BP, entsteht ein chaotisches Gefäßnetz

Um diese Frage zu klären, untersuchten die Forscher das Wachstumsverhalten von gentechnisch veränderten Blutgefäßzellen: Konnten diese kein SYNJ2BP bilden, war der Notch-Signalweg kaum aktiv, es entstanden extrem viele Tip-Zellen und ein chaotisches Gefäßnetz. Produzierten sie hingegen größere Mengen dieses Bindeproteins, wurde der Notch-Signalweg zu stark aktiviert. Aufgrund der deshalb verringerten Anzahl von VEGF-Rezeptoren wuchsen fast gar keine neuen Blutgefäße.

Als die Wissenschafter überprüften, wo SYNJ2BP gebildet wird, waren sie erstaunt: Das Bindeprotein war kaum in der Tip-Zelle an der Spitze, wo DLL4 in großen Mengen vorhanden ist, sondern in den benachbarten Zellen des neuen Blutgefäßes zu finden. Auch in diesen Zellen fanden die Forscher nun geringe DLL4-Mengen.

Dort greift SYNJ2BP ein. "SYNJ2BP stabilisiert die geringen DLL4-Proteinmengen in diesen der Tip-Zelle unmittelbar nachfolgenden Zellen und ermöglicht somit die Signalübertragung in alle weiteren benachbarten Zellen", erklärte Gordian Adam. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass alle Zellen - außer der Tip-Zelle - den Notch-Signalweg aktivieren und somit nicht mehr auf den Wachstumsfaktor VEGF reagieren können.

In einem weiteren Schritt wollen die Forscher nun das SYNJ2BP-Gen ausschalten und testen, wie sich das chaotische Blutgefäßsystem, das dann entsteht, auf das Tumorwachstum auswirkt. Direkte neue Therapieansätze sind vorerst nicht zu erwarten. (APA/red, derStandard.at, 16.11.2013)