Kommissionspräsident José Manuel Barroso wurde am Mittwoch nicht müde, Bedeutung und Stärke der deutschen Wirtschaft zu loben: Das Land sei "die Wachstumslokomotive" für Europa. Ihre Wettbewerbsfähigkeit, die Exporterfolge von Made in Germany "natürlich nicht das eigentliche Problem". Im Gegenteil: Diese wirtschaftliche Fähigkeit helfe indirekt der Union, den EU-Partnern, sagte Barroso bei einer Pressekonferenz, von Währungskommissar Olli Rehn und Sozialkommissar Laszlo Andor flankiert.
Kein Zufall. Die drei präsentierten drei Berichte im Rahmen des neuen "Europäischen Semesters" - zu Wachstum; zu den Risiken von makroökonomischen Ungleichgewichten in den Staaten; zur Arbeitslosigkeit. Das "Semester" soll nach dem Willen der Regierungschefs die wirtschaftspolitische Kooperation stärken, strenger für Einhaltung der Regeln sorgen, Verstöße ahnden. Barroso fiel die Rolle zu, etwas zu erklären, was der berühmten sparsamen "schwäbischen Hausfrau", die Kanzlerin Angela Merkel oft bemüht, kaum einsichtig erscheint: dass Erfolg des einen den anderen schaden kann. Die Kommission leitet ein vertieftes Prüfverfahren gegen Deutschland ein.
Und zwar nicht, weil die Regierung in Berlin beim Schuldenabbau säumig wäre (wie Frankreich), auch nicht, weil die Arbeitslosigkeit aus dem Ruder läuft (wie in Spanien oder Italien). "Exportweltmeister" Deutschland wird vertieft geprüft, weil seine Leistungsbilanz seit Jahren extrem große Überschüsse aufweist, die vor allem auf Exporte der Auto- und Maschinenindustrie zurückgehen. Im ersten Halbjahr waren das 7,2 Prozent der Wertschöpfung (BIP), maximal sechs sind erlaubt.
Gleichzeitig geben die Deutschen (relativ) wenig für Konsum aus, nicht zuletzt, weil die Lohnzuwächse bescheiden ausfielen. Viel überschüssiges Geld wird in der Welt, nicht Europa investiert.
Das alles "könnte" der Union letztlich schaden, sagte Barroso, häufig im Konjunktiv. Es könnte sein, dass man am Ende der Prüfung im März - wie den anderen 15 zu prüfenden EU-Staaten auch - Empfehlungen an Deutschland ausgibt. Etwa, dass es sich stärker als bisher im Bereich der Dienstleistungen öffne.
Rezession vorbei
Deutschland habe Verpflichtungen, sagte Barroso, gerade jetzt, wo die Eurozone die Rezession verlasse, alles getan werden müsse, um Wachstum anzukurbeln, Arbeitsplätze zu schaffen. Das Klima für die Weltwirtschaft sei so hoch wie seit zweieinhalb Jahren nicht, teilte das Ifo-Institut in München mit, der Index sei von 94,1 auf 98,6 Prozent gesteigen.
In Deutschland hatte das sich abzeichnende Vorgehen der Kommission bereits im Vorfeld für Aufregung bis Empörung gesorgt. Mehr Wettbewerbsfähigkeit sei nicht durch "Gängelung der Stärksten" zu erreichen, empörte sich etwa der Chef der CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament, Herbert Reul. Die fünf Wirtschaftsweisen in Berlin urteilten differenziert. Man solle Exportstärke nicht politisch beeinflussen, meint Volker Wieland, während Peter Bofinger anerkennt, dass auch die USA hohen Leistungsbilanzüberschuss als problematisch für die globale Wirtschaft ansehen. (Thomas Mayer aus Brüssel, DER STANDARD, 14.11.2013)