Seit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 haben alle Präsidenten eine Art Balance zwischen Russland und dem Westen gesucht. Alle außer Wiktor Juschtschenko, einem der Führer der Orangen Revolution 2004: Er erlitt unter anderem mit seinem Pro-Nato-Kurs Schiffbruch. Ein Land mit der Lage, der Geschichte und der Bevölkerungsstruktur der Ukraine hat wohl keine andere Wahl, als die Verständigung mit den großen Nachbarn zu suchen.

Jetzt aber, mit dem ausverhandelten Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit der EU, steht die Ukraine an einer Wegscheide. Die schrittweise Umsetzung würde die europäische Integration des Landes unumkehrbar machen. Eine Teilnahme an der östlichen Zollunion, Vorstufe der von Russland geplanten Eurasischen Union, ist damit unvereinbar. Entsprechend groß ist der Druck Moskaus.

Die EU hat die Freilassung der Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko zur Bedingung für die Unterzeichnung des Abkommens gemacht. Das war taktisch unklug und strategisch kurzsichtig. Denn so bedauerlich das Schicksal Timoschenkos ist: Die Abschaffung der politisch benutzbaren Justiz, die hinter ihrer Verurteilung steht, kann nur mit einer quasi einklagbaren Verpflichtung Kiews erreicht werden. Ein solches Instrument wäre das Assoziierungsabkommen - auch für andere grundlegende Reformen. Mit ihrer Fixierung auf Timoschenko aber riskiert die EU, dass gut gemeint wieder einmal zum Gegenteil von gut wird. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 14.11.2013)