Festtagsbeleuchtung mit gutem Gewissen: Der Modellbungalow versorgt sich selbst mit Solarenergie.

Foto: Airbnb/Art Gray

Durch die vollverglaste Fassade sind keine Nachbarn zu sehen - das Haus steht mitten in der kalifornischen Wüste. Foto O Art Gray

Foto: Airbnb/Art Gray

Wie bei einem Diorama liegt einem die Hi-Wüste nach dem Aufwachen im Schlafzimmer zu Füßen. Foto O Doris Rothauer

Foto: Doris Rothauer

Anreise: Flüge von Wien nach Los Angeles werden von Austrian, British Airways, KLM und anderen angeboten, meistens mit einem Zwischenstopp. Für die Weiterfahrt in die Hi Desert (rund drei Stunden) benötigt man auf jeden Fall einen - vorzugsweise geländegängigen - Mietwagen.

Unterkunft: Das beschriebene Objekt ist bei Airbnb zu finden

Alternative kommerzielle Anbieter: www.wimdu.at - www.9flats.com

>>> Hier gibt es richtig schräge Airbnb-Unterkünfte zu sehen.

Grafik: DER STANDARD

>>> Weiterlesen: Airbnb-Nutzer erzählen über ihre Erfahrungen mit den privaten Unterkünften.

Foto: privat

So weit das Auge reicht, dehnt sich eine Wüstenlandschaft aus, in der nur mächtige Steinhügel, Kakteen und blühende Yuccas Akzente setzen. Das letzte Haus an der welligen Sandstraße hat den klingenden Namen "Atomic Ranch" und liegt bereits mehrere Kilometer zurück. Hier funktioniert kein Navi mehr, auch kein Handy. Als einzige Orientierung dient eine kleine Handzeichnung, die wir noch in der Zivilisation per E-Mail bekommen und ausgedruckt haben. Auf einmal, hinter einer Kurve, auf einem Hügel thronend, steht er, der gläserne Bungalow, der unser Feriendomizil für die nächsten Tage sein wird. Wie ein Ufo scheint er hier gelandet zu sein. Linda Taalman, Besitzerin und Architektin aus Los Angeles, hat dieses Musterhaus für einen Serienbungalow entworfen, der komplett autark vom Stromnetz, also "off-grid", funktionieren soll.

Dass der Urlaub ausgerechnet in die kalifornische Hi Desert gehen sollte, war so nicht geplant. Zu Hause auf der Couch sitzend, standen zunächst Los Angeles und Palm Springs beim Herumsurfen im Internet auf der Wunschliste. Bis dann die Themensuche "Modernist Architecture" auf Airbnb aufgetaucht ist. Taalman bietet ihr Haus über diesen Internet-Marktplatz für private Unterkünfte an. Bereits online zu sehen gab's Fotos wie aus einem Architekturmagazin, vom Bungalow im modernistischen Stil, mit Designikonen und Eigenentwürfen als Einrichtung, die Wände komplett aus Glas, mitten in einer bizarren Steinwüste.

Mit dem Konzept, ungewöhnliche private Unterkünfte weltweit anzubieten, aktiv aufzuspüren und online zu vermitteln, hat sich Airbnb innerhalb von fünf Jahren seit der Gründung zu einer der am schnellsten wachsenden Internetfirmen entwickelt. Das amerikanische Wirtschaftsmagazin Fast Company, das alljährlich ein Ranking der 50 innovativsten Unternehmen weltweit herausgibt, hat Airbnb 2013 in seiner Märzausgabe auf Platz zwölf gelistet. Die Begründung: In vielen Fällen könne das Portal mit Objekten in der Liga von Fünf-Sterne-Häusern mitspielen, ohne selbst eines zu sein. Anstelle von Sternen werden auf Airbnb Herzen vergeben für Wunschträume, die von der Fidschi-Privatinsel bis zum isolierten Iglu reichen.

Lieblinge der Community

Freilich können über das Portal auch – oder sogar vorwiegend – Zimmer ab 35 Euro pro Tag in einer Wohnung gebucht werden. Für den Bungalow in der kalifornischen Wüste sollte man rund 300 Euro pro Tag einkalkulieren. Die Suche kann nach Preis, Destination oder Kategorien wie "Haus auf Rädern" oder "Königlicher Komfort" erfolgen. Darüber hinaus stellen zufriedene Stammkunden ihre Lieblingslisten zusammen und anderen Benutzern zur Verfügung. Sogenannte Neighbourhood-Guides, also lokale Tipps von ortskundigen Benutzern, ergänzen das Angebot. "Unser Produkt ist die gesamte Community", sagt CEO Brian Chesky. Und diese Community ist rasch gewachsen auf aktuell 250.000 Objekte in 192 Ländern. Mit bis zu 60.000 Buchungen täglich hat Airbnb im Individualtourismus also längst große Worte mitzureden.

Mit Objekten wie dem Off-Grid-Haus, einer privaten Fidschi-Insel um 385 Euro oder einem ganzen schottischen Schloss um 6000 Euro pro Nacht zimmerten sich die Gründer aus dem Silicon Valley auch ihr medientaugliches Image zusammen. Doch gleichzeitig sind genau diese "Wohngelegenheiten" die wirtschaftlich irrelevanten Exoten, wenn man sie der Masse der vergleichsweise gewöhnlichen Wohnungen gegenüberstellt. Rund 7500 Euro im Jahr ließen sich etwa durch die tageweise Vermietung eines Zimmers im eigenen Apartment verdienen, erzählte eine Künstlerin aus Manhattan der New York Times, die dadurch Arztrechnungen trotz der nicht in die Gänge kommende Gesundheitsreform bezahlen konnte.

Rechnet man nicht nur die Mieteinnahmen zusammen, sondern die gesamte Wirtschaftsleistung hoch, bedeute das für New York einen jährlichen Gesamtumsatz von rund 470 Millionen Euro. Diese Rechnung stellte das Beratungsunternehmen HR&A erst kürzlich im Auftrag von Airbnb an – und ergänzte: nur 23 Millionen Euro von diesem Geld sieht der Staat als Steuern wieder. Kein Schelm, wer dabei denkt, dass zwischen Einnahmen und Abgaben manchmal eine Lücke klafft. Von Verwaltungen in New York bis Berlin – häufig unterstützt von Hoteliersvereinigungen – wurden Airbnb und vergleichbaren Anbietern in den letzten Monaten die Rute ins Fenster gestellt: Würden die Vermittler es nicht in Griff bekommen, dass deren Vermieter Steuern bezahlen oder regionale Spielregeln wie Mindest- oder Maximalmietdauern einhalten, könne das Verbote der Plattformen nach sich ziehen. Ein privater Airbnb-Vermieter in New York wurde in einem Präzedenzfall bereits zu einer hohen Geldstrafe verurteilt.

Für Mieter ist das System aber denkbar unproblematisch: Bei der Buchung wird im Voraus zur Gänze per Kreditkarte bezahlt, erst danach erhält man die Kontaktadresse des Anbieters sowie dessen Tipps zur Nutzung des Objekts. Im Fall des kalifornischen Bungalows etwa den genauen handgezeichneten Anfahrtsplan über Sandpisten, die auf keiner Straßenkarte verzeichnet sind, den Code für das Eingangsschloss und eine mehrseitige Bedienungsanleitung für die Off-grid-Komponenten, also Solarenergie und Wassertank. Selbst wie man sich in der Wüste im freien Gelände verhält und sich vor Klapperschlangen schützt, wird einem erklärt. Für den Notfall liegt im Badezimmer eine Spritze mit Gegengift. Ein großer Vertrauensvorschuss auf gegenseitiger Basis ist Voraussetzung. Denn die Mieter des kalifornischen Bungalows verließen ihn nach Ende des Urlaubs, ohne die Vermieterin je zu Gesicht bekommen zu haben. Aus Neugierde wurde dann telefoniert, um mehr über ihre Arbeit, ihren Zugang zur Architektur, der sich hier als beeindruckender Dialog mit der Natur manifestiert, zu erfahren.

Anziehend unwirtlich

Die unwirtliche Hi Desert, von Los Angeles in rund drei Stunden über die Route 66 erreichbar, heißt ihre Besucher willkommen – so legt es der Name nahe. Tatsächlich ist es eine karge, aber gleichzeitig eigenwillig anziehende Landschaft, die man hier vorfindet. Im Joshua Tree National Park, dem Herzstück mit über 3000 km² unberührter Wildnis, kommen zwei Wüstenlandschaften und Ökosysteme zusammen: die Colorado-Wüste mit ihren Granitsteinformationen und den namengebenden, im Frühling blühenden Palmlilien, den Joshua Trees, sowie die Mojave-Wüste mit gelb blühenden Kreosotbüschen und bis zu zwei Meter hohen Cholla-Kakteen mit dichtem, weißem Stachelkleid. Dazwischen liegen Lehrpfade, Kletterrouten, Ranger-Stationen, Palmenoasen und Picknickplätze. Es ist eben eine nicht allzu lebensfeindliche Wüste.

Zahlreiche Künstler haben ihre Refugien gut in der Hi Desert versteckt, abseits vom kalifornischen Massentourismus und Hollywood-Glamour des nahegelegenen Palm Springs. Doch der Film hat auch hier in der Wüste seine sichtbaren Spuren hinterlassen. In der Wüstenstadt Pioneertown etwa, die in den 1940er-Jahren als Kulissenstadt für Westernproduktionen erbaut wurde. Obwohl diese Stadt zur Gänze künstlich geschaffen wurde, existierte hier auch einmal echtes Leben, und Alltag kehrte ein in den relativ massiv gebauten und daher bewohnbaren Kulissenhäusern. Denn nach dem Abzug der Westernproduktionen wurden die einzelnen Objekte an Privatpersonen verkauft oder einfach stehen gelassen und in Besitz genommen.

Alte Pferdetränken und andere vergessene Westernrequisiten ergeben das Bild eines skurrilen Themenparks. Was früher der Filmcrew als Bowlingbahn, Barber-Shop und Postamt diente, wird heute von den Bürgern benutzt. Besonders populär ist das berühmte Restaurant "Pappy & Harriet' s" im ehemaligen Pioneertown Palace. Dort werden 24 Stunden Hamburger und Steaks im Ambiente eines Western-Saloons serviert, und am Abend spielt eine Liveband. Das Publikum ist eine durchaus spannende Mischung aus urbanen Künstlern und zeitgenössischen Cowboys aus der Region.

In der nahegelegenen Stadt Yucca Valley, direkt an der Route 66, kommen schließlich alle Vintage-Fans auf ihre Rechnung. Denn im alten Stadtteil, wo sich ein Antiquitätengeschäft ans andere reiht, findet man neben universellem Krimskrams noch historische Hollywood-Requisiten mitten in der Wüste. "Come for a Day, Stay for a Lifetime" wirbt der lokale Wirtschaftsverband.

Geteiltes Wohnen

Wirtschaftsjournalisten von The Economist bis hin zu Forbes, die Plattformen à la Airbnb genauer unter die Lupe nahmen, schicken unterdessen traditionelle Ökonomen in die Wüste. Diejenigen, die behaupten, solche Plattformen würden dem Tourismus schaden, konfrontieren sie gerne mit den Ideen des Harvard-Ökonomen Martin Weitzman. Mit seinem Begriff der Share-Economy – am ehesten als Co-Konsum übersetzbar – ließe sich nämlich auch erklären, was im Reisesegment gerade passiert: Gebrauchsgüter – wie Wohnungen – werden nicht mehr nur zur Benutzung durch den Besitzer gekauft, sondern wie beim Carsharing immer öfter geteilt benutzt oder vermietet. Doch Weitzmans Schluss ist nicht etwa, dass dies den klassischen Wirtschaftssektoren das Wasser abgrabe, sondern dass sich der Wohlstand für alle erhöht, je mehr die Marktteilnehmer teilen.

Doch auch Airbnb muss lernen, zu teilen: Während die 2008 gegründete Plattform 250.000 private Unterkünfte weltweit vermittelt, haben die drei Jahre später entstandenen Anbieter Wimdu und 9flats.com jeweils knapp über 50.000 Angebote im Programm. Nur bei 9flats.com entstehen ausschließlich dem Vermieter, nicht aber dem Mieter Gebühren für die Vermittlung. Bei den beiden anderen bezahlt der Mieter eine Provision zwischen 6 und 12 Prozent.

Schon fünf Jahre vor Airbnb wurde zudem CouchSurfing als Gastfreundschaftsnetzwerk gegründet, über das kostenlose Unterkünfte angeboten und in Anspruch genommen werden können. Doch seit 2011 ist letztlich auch dieses Netzwerk kommerziell, weil es nun beansprucht, Nutzerdaten zu vermarkten. Der eigentliche "Zimmerservice" bleibt aber weiterhin kostenlos. (Doris Rothauer und Sascha Aumüller, DER STANDARD, Rondo, 15.11.2013)