Menschen aus Kirchen, Moscheen und Basisgruppen organisieren den Widerstand.

Foto: Csekő

Neben provisorischen Schlafplätzen werdenauch Essen, Kleidung, Deutschkurse und medizinische Versorgung organisiert.

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Die Demonstrationen sind sehr eng mit der Fangemeinde des traditionell linken Fußballvereins FC St. Pauli verbunden.

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Die Hamburger St.-Pauli-Kirche liefert eine pittoresken Ausblick auf den riesigen Hafen, der als ein Tor Europas zu anderen Kontinenten gilt. Im Garten des kleinen Kirchenareals hängen Bettwäsche und Handtücher auf der Leine, junge Männer spielen mit dem Ball, während andere Kekse und Kaffee in einem Plastikzelt zu sich nehmen. Sie verfügen über eine einzigartige Aussicht auf das internationale Kommerzzentrum, wo Personen verschiedenster Kulturen und Länder, die sich oft barrierefrei zwischen unterschiedlichsten Welten bewegen dürfen, Handel betreiben.

Seit Monaten präsentiert sich die evangelisch-lutherische Kirche für eine Flüchtlingsgruppe aus Afrika ebenso als Tor Europas, indem sie ihnen Obdach bietet. Ein Tor, das die afrikanischen Flüchtlingen gerne längst durchschritten hätten - dieser Schritt wurde ihnen aber vom Hamburger Stadtsenat bis jetzt verweigert.

Über Italien nach Hamburg

Die Lampedusa-Flüchtlinge sind nach einem grausamen Weg in der Hansestadt angekommen, nachdem sie in den letzten Jahren zahlreiche albtraumähnliche Situationen erlebt hatten. Ihre Reise fing in Westafrika an, wo sie ihre Heimatländer mit der Hoffnung auf ein besseres Leben in Libyen verließen. Dieser Hoffnung wurde mit dem Ausbruch des Libyen-Krieges und dem Anfang der NATO-Bombardierungen schnell ein Ende gesetzt. 2011 entschieden sich die Flüchtlinge für die hochriskante Überquerung des Mittelmeers und landeten später in Italien.

Die meisten von ihnen überlebten zwar die Reise und wurden zunächst in Flüchtlingslager gesetzt - diese aber wurden später, nachdem der Europäische Flüchtlingsfond (EFF) Anfang 2013 abgelaufen war, geschlossen. Die italienischen Behörden erteilten allen Betroffenen den individuellen Flüchtlingsschutz, und laut den Aussagen einiger Flüchtlinge wurde ihnen sogar eine kleine Geldsumme angeboten, damit sie weiter Richtung Norden ziehen.

Einige gingen nach Frankreich, andere nach Skandinavien, wieder andere erreichten Deutschland. In Hamburg wurden sie zuerst in Winternotunterkünfte untergebracht; nach deren Schließung sind die meisten auf der Straße gelandet. Die genaue Größe der Flüchtlingsgruppe wird in der Stadt auf 200 bis 300 Personen geschätzt, von denen ein Viertel seit Anfang Juni in der St.-Pauli-Kirche eine Übergangsheimat fand. Sie haben weiterhin weder Anspruch auf eine Unterkunft noch auf Sozialbeihilfe, von jeglichem Ausblick auf eine Arbeitserlaubnis ganz zu schweigen.

Protestkultur

In der norddeutschen Stadt organisieren Menschen aus Kirchen, Moscheen, Basisgruppen sowie den migrantischen Gemeinden in den Stadtteilen Nothilfe in Form von provisorischen Schlafplätzen, Essen, Kleidung, Deutschkursen und medizinischer Versorgung. Die Solidarität mit den Lampedusa-Flüchtlingen ist in Hamburg enorm. Andauernd finden Demonstrationen statt, welche sehr eng mit der Fangemeinde des traditionell linken Fußballvereins FC St. Pauli verbunden sind.

Nach den Fußballpartien treffen sich die Demonstranten unter dem Motto „Kein Mensch ist illegal" und offenbaren, über die Reeperbahn bis zum Schanzenviertel ziehend, ihre Ablehnung der deutschen Flüchtlingspolitik. Anders als in Wien ziehen in Hamburg oft bis zu 10.000 Personen auf die Straße.

Im Oktober uferten einige Demos aus. Gewaltsame Szenen spielten sich zwischen Demonstranten und der Polizei ab. Mehrere Müllcontainer und Autos wurden angezündet. Den teilweise gewaltsamen Demos sind – im Gegenteil zu anderen deutschen Städten - keine Gegenkundgebungen entgegenstanden.

Der von der SPD geführte Stadtsenat ist seit Monaten gefordert, eine Lösung in dem spektakulären Streit um die 200 bis 300 Lampedusa-Flüchtlinge zu finden. Eine solche ist zwar noch nicht in Sicht - im Gegensatz zu Wien werden die Großdemonstrationen in Hamburg aber weitergehen.

St.-Pauli-Manifest

Die Bewohner des Stadtteils St. Pauli haben medienwirksam sogar ein Manifest veröffentlicht, den immer mehr Hamburger unterzeichnen. In einem Abschnitt des Manifests heißt es: „Wir wollen Menschen, die aus unmenschlichen, unsicheren und unsatten Verhältnissen geflohen sind, um in Europa oft wieder unmenschlich und unsicher behandelt zu werden, mit unseren Möglichkeiten willkommen heißen, respektvoll behandeln und beschützen, wenn sie es wollen. Wir wollen sie in unserer Mitte haben, bis sie aus eigenem Wollen eine eigene oder andere Mitte gewählt haben. Wir wollen dabei aushalten, dass unterschiedliche Auffassungen normal sind, auch unter den Flüchtenden und auch unter uns."

Kritik an den Demonstranten

Doch längst nicht alle Hamburger heißen die Demonstrationen in St. Pauli gut. Tobias erzählt, dass aus seiner Sicht einige der Demonstranten die Lampedusa-Flüchtlinge bloß dazu missbrauchen würden, um Randale zu machen. „Jede Woche finden Demonstrationen statt, mal wegen der Roten Flora (eines besetzten Hauses, an dessen Stelle ein Kongresszentrum entstehen soll, Anm. d. Red.), mal wegen der Flüchtlinge. Es endet immer in Krawallen." Ein freiwilliger Helfer aus der St.-Pauli-Kirche findet es gut, dass durch die Demonstrationen auf diese Misere aufmerksam gemacht und Solidarität bekundet wird, würde sich aber wünschen, dass es zu keiner Gewalt kommen würde. „Die Gewalt, die bei den Demonstrationen stattfindet, wirft ein schlechtes Licht auf unsere Anliegen."

Die Demonstranten sehen das natürlich anders, wie Steffen als einer von ihnen darlegt: „Ohne uns hätte der Stadtsenat die Sache schon längst zu den Akten gelegt und die Flüchtlinge ihrem Schicksal überlassen. Dank uns müssen sie sich der Sache stellen und werden hoffentlich auf die Forderungen ihrer Bürger eingehen."

Das Tor Europas ist für die Flüchtlingsgruppe mithilfe der Bewohner St. Paulis noch immer nicht gänzlich geschlossen. Ob der Hamburger Stadtsenat es für sie öffnen oder endgültig schließen wird, ist weiterhin fraglich. Die Verzögerung der endgültigen Entscheidung lässt die „Lampedusa-Flüchtlinge in Hamburg" aber auf jeden Fall mit Hoffnung erfüllt ausharren. (Balázs Csekő und Siniša Puktalović, daStandard.at, 14.11.2013)