Schön poppig und viel bunter als früher, aber auch die einzige Zahnregulierung, die Krankenkassen unterstützen.

Foto: Katsey

Wien - Zuckerln sind schlecht für die Zähne, das ist bekannt. Wahlzuckerln auch. Als Gesundheitsminister Alois Stöger vor der vergangenen Nationalratswahl Zahnspangen für alle versprach, hat er das wohl ganz bewusst am Ende seiner Legislaturperiode getan. "Viele Eltern wollen jetzt erst einmal abwarten, was die neue Regierung umsetzt", berichtet die Wiener Kieferorthopädin Bärbel Reistenhofer.

130 Millionen Euro müssten bereitgestellt werden, haben Experten errechnet. Unklar ist vieles: Sollen schwere Zahnfehlstellungen künftig komplett bezahlt werden, soll es - neu - auch für kosmetische Korrekturen Zuschüsse geben? Und, auch wichtig: Wer soll sie durchführen?

Fallzahlen entscheidend

In Österreich schwelt ein Streit um die für Kieferorthopädie notwendige Ausbildungsdauer. "Es ist eine Schande, dass es in Österreich keine Ausbildung zum Kieferorthopäden gibt, weil die Zahnärzte das verhindern" , wettert Hans-Peter Bantleon, Vorstand der Abteilung für Kieferorthopädie an der Bernhard-Gottlieb-Universitätszahnklinik in Wien. Während in anderen Ländern Europas entsprechende Ausbildungen zwischen 4000 und 5000 Stunden umfassen, können österreichische Zahnärzte mit nur 150 Stunden Weiterbildung bei der Zahnärztekammer Zähne regulieren. Bantleon empfiehlt Eltern, sich bei jedem Anbieter grundsätzlich über die Ausbildung und die Fallzahlen zu informieren. Eine gute Informationsquelle sei der Verein der österreichischen Kieferorthopäden (VÖK), die eine Liste der Ärzte führen, die sich kontinuierlich in Weiterbildungen engagieren. Allein: Verbindlich sei das nicht, kontern Kritiker, schließlich könne sich jeder dort eintragen.

Kreuzbiss und offener Biss

Klarheit herrscht derzeit darüber, wann der Staat für Zahnregulierungen Geld zuschießt, dann nämlich, wenn schwere gesundheitliche Schädigungen eine Folge von Nichtbehandlung wären. Das ist der Fall etwa beim offenen Biss, beim Kreuzbiss oder immer dann, wenn eine Fehlstellung zu einer Progenie, einer unterschiedlichen Entwicklung der beiden Seiten des Kiefers, führen würde. Gänzliche Kostenübernahmen sind aber auch dafür nicht vorgesehen, lediglich Selbstbehalte, und die variieren regional und abhängig von den Krankenkassen. Die Wiener Gebietskrankenkasse etwa zahlt 408,50 von den 819 Euro Behandlungskosten pro Jahr- und das durchschnittlich über drei Jahre, in schwierigen Fällen vier.

Geld zuschießen

Weil der Leistungskatalog für Zahnregulierungen aus den 1970er-Jahren stammt, damals nur abnehmbare Zahnspangen existierten und der Hauptverband sowie die Kammer der Zahnärzte sich seit Jahrzehnten nicht auf eine Adaptierung samt Preisfestsetzung einigen können, gibt es de jure kaum Möglichkeiten, die für große Zahnverschiebungen viel besser geeigneten festen Zahnspangen in den Leistungskatalog aufzunehmen. Am Zahnambulatorium Mariahilf läuft ein Modellprojekt unter der Leitung von Michael Angerer. Kinder und Jugendliche mit schweren Zahnfehlstellungen werden hier mit festsitzenden Zahnspangen zum Fixpreis von 4680 Euro für die gesamte Behandlungsdauer versorgt. "Feste Zahnspangen sind bei schweren Fehlstellungen ohne Frage die richtige Entscheidung", sagt Angerer, nur bei zehn Prozent seiner mehr als 1000 Patienten habe er sich für eine abnehmbare Zahnspange entschieden. Allerdings ist die Warteliste am Zahnambulatorium lang, die durchschnittliche Wartezeit beträgt zwei Jahre. Eltern, die kieferorthopädische Angebote als ärztliche Zweitmeinung überprüfen lassen wollen, bekommen bei Angerer aber schnell einen Termin. "Viele Behandlungen, die von Kollegen empfohlen werden, bewerte ich anders", kann er aus Erfahrung sagen. Wenn Eltern ihren Kindern aus kosmetischen Gründen eine Zahnregulierung zahlen, sei das ihr gutes Recht. Argumente wie jenes, "dass regulierte Zähne weniger kariesanfällig wären oder der Zahnerhalt dadurch langfristig gesichert sei, sind aber vollkommen unhaltbar", sagt Angerer und stützt sich dabei auf entsprechende Studien.

Weich beißen

Etwa 35 Prozent der Bevölkerung brauchten eine Zahnspange, schätzt Bantleon und nennt evolutionstechnische Ursachen. Der menschliche Körper reagiert auf die immer weicher werdende Nahrung. "Zähne werden immer größer, die Kiefer immer kleiner, deshalb haben auch die Weisheitszähne kaum noch Platz", sagt Bantleon. Auch Aplasien, also das vollständige Fehlen bestimmter Zähne, habe in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen. Das alles sei eine Erklärung, warum Regulierungen immer häufiger empfohlen werden, sagt er. Darüber, dass abnehmbare Zahnspangen nur sehr bedingt und nur bei leichten Fehlstellungen das Mittel der Wahl sind, lässt er keine Zweifel. "Nach eineinhalb Jahren konsequenter Nutzung einer abnehmbaren Spange muss Erfolg sichtbar", sagt er, sonst müsse man sich eine andere Strategie überlegen.

Zahnbewegungen

Für Bärbel Reistenhofer ist die Technik nur ein Teil der Behandlung. "Bei jeder Regulierung kommt es auf die Mitarbeit der Patienten an", sagt sie. Vor allem Kinder zwischen neun und elf Jahren sind hoch motiviert, leichte Zahnfehlstellungen könnten mit abnehmbaren Spangen gut korrigiert werden. Teenagern, so ihre Erfahrung, fällt Konsequenz wesentlich schwerer, doch gerade die sei bei jeder Behandlungsart entscheidend. Bei festen Zahnspangen kann konsequentes Tragen von Gummiringerln genauso wichtig wie sorgfältiges Zähneputzen sein. Ganz besonders gewissenhaft müssten Jugendliche sein, denen Reistenhofer nahezu unsichtbare Zahnschiene von Invisalign verpasst. Sie muss rund um die Uhr getragen werden. "Viele meiner erwachsenen Patienten bedauern, dass sie als Kinder und Jugendliche bei Regulierung, die damals noch ihre Eltern gezahlt haben, schlampig waren", sagt sie. Große Zahnbewegungen lassen sich aber nur mit festen Zahnspangen regulieren. Und zu spät sei es für Zahnspangen nie.

Genau das macht es für den Hauptverband der Sozialversicherungen schwierig, in einem hochkompetitiven Fachbereich Pauschalpreise zu vereinbaren. Vor allem mit wem? Wird es bald auch hier ausgebildete Kieferorthopäden geben? Am Wahlzuckerl von Gesundheitsminister Stöger könnten sich noch einige Funktionäre die Zähne ausbeißen. Patienten haben das Nachsehen. (Karin Pollack, DER STANDARD, Family, 21.11.2013)