Screenshot des vorübergehend auf YouTube hochgeladenen Videos.

Screenshot: derStandard.at

Justizministerium sieht kein bloßes "Hinreißen lassen", sondern "planmäßiges Vorgehen"

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Das Ministerium kritisiert die "wenig ambitionierte Erhebungstätigkeit" der Verfassungsschützer.

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Ein Aufmarsch rechtsextremer Hooligans am 15. September 2011 in der Wiener Generali-Arena blieb ohne strafrechtliche Konsequenzen. Das geht aus dem aktuellen Weisungsbericht des Justizministeriums hervor. Rund 200 radikale Fans waren gemeinsam zum Spiel der Austria Wien gegen Metalist Charkiw ins Stadion einmarschiert, dabei waren laut Augenzeugen Hitlergrüße zu sehen und antisemitische Sprüche zu hören (derStandard.at berichtete). Zumindest die  Hitlergrüße waren auch per Youtube-Video dokumentiert. Die Staatsanwaltschaft Wien leitete ein Verfahren nach dem Verbotsgesetz ein, das Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) ermittelte.

Die Ermittlungen in der Causa sorgten jedoch für herbe Kritik – und zwar im Justizministerium. Das geht aus dem aktuellen Weisungsbericht des Ministeriums hervor. In einer Weisung vom Juni 2012 wird die "wenig ambitionierte Erhebungstätigkeit" des LVT gerügt. Der Fall müsse neu aufgerollt werden, ordnete das Ministerium an.

"Zum Hitlergruß hinreißen lassen"

Konkret hatte das Wiener Landesamt für Verfassungsschutz anhand des Videos einen Beschuldigten und einen Zeugen identifiziert. Der Beschuldigte wurde am 5. März 2012 einvernommen, seiner Aussage, wonach er schwer betrunken gewesen und sich deshalb "zum Hitlergruß hinreißen" habe lassen, schenkte das LVT Glauben. Zudem sei nicht gesichert, ob es sich nicht doch um das "bei Fans übliche Ausstrecken der Hände mit den Handflächen nach außen" handle. Noch am Tag der Einvernahme legte das LVT den Fall ad acta. Der Zeuge war erst gar nicht geladen worden. Es handle sich um einen amtsbekannten Rapid-Fan, erklärten die Ermittler, folglich seien "zweckdienliche Auskünfte nicht zu erwarten".

"Keine Hooligans, sondern Neonazis"

Bei Szene-Kennern sorgt diese Begründung für Kopfschütteln: "Wenn es ums Politische geht, dann ist die Feindschaft zwischen Rapid und Austria ziemlich unterentwickelt", sagt ein Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes (DÖW) gegenüber derStandard.at: "Fußball ist da sekundär." Neonazis bei Austria und Rapid würden immer wieder gemeinsam auftreten, beispielsweise bei FPÖ-Wahlkampfveranstaltungen. „Das sind keine Hooligans, das sind Neonazis." Der einstige Zusammenschluss rechtsextremer Rapid- und Austria-Fans, "Eisern Wien", sei zwar heute nicht viel mehr als ein Mythos. Doch seit einigen Jahren würden die alten vereinsübergreifenden Bindungen wiederbelebt, "es gibt eine Ideologisierung der Fanszene", heißt es im DÖW.

"Organisiertes Auftreten"

Das Ministerium forderte die Staatsanwaltschaft Wien im Juni 2012 per Weisung auf, die Causa neu aufzurollen. Der Rapid-Zeuge müsse befragt, das Video noch einmal unter die Lupe genommen werden, um die unbekannten Täter auszuforschen. Dass es Hitlergrüße waren, sei einwandfrei zu erkennen, so das Ministerium. Auch die Annahme, der Täter habe sich nur "zum Hitlergruß hinreißen lassen", sei wenig glaubhaft: Vielmehr sei von einem "organisierten Auftreten" und einem "planmäßigen Vorgehen" der Rechtsextremen auszugehen.

Das LVT setzte die Ermittlungen fort, beendete sie jedoch mit demselben Ergebnis, woraufhin die StA Wien das Verfahren erneut einstellte. Wieder hieß es, der Beschuldigte sei zu betrunken gewesen, um vorsätzlich handeln zu können. Diesmal nahm das Ministerium die Entscheidung zur Kenntnis.

Die Grünen nehmen den Fall zum Anlass, um "organisatorische und fachliche Konsequenzen" im Verfassungsschutz zu fordern: "Blamabler geht es kaum, wenn sich der Verfassungsschutz vom Justizministerium sagen lassen muss, dass es sich selbstverständlich um einen Hitlergruß handelt", so Justizsprecher Albert Steinhauser.

LVT: Zusätzliche Ermittlungen "haben nichts gebracht"

Diese Kritik weist ein LVT-Sprecher zurück: Erstens habe die Staatsanwaltschaft das erste Ermittlungsergebnis bestätigt. Zweitens: "Das Ministerium hat konkrete Ermittlungsschritte aufgetragen, sie wurden getätigt und haben nichts gebracht." Das beweise, dass die Kritik des Ministeriums "eher theoretisch" war, so der Sprecher. Anders gesagt: "Der Ermittler wird schon vorher gewusst haben, dass es nichts bringt, sonst hätte er es eh gemacht."

Hilfe von Journalisten angefordert

LVT-Chef Erich Zwettler war bereits im Februar 2012 zu den Vorfällen in der Generali-Arena befragt worden. Im derStandard.at-Gespräch sagte Zwettler damals, man werde "nicht wegschauen und konsequent Anzeigen erstatten. Man muss auf ein Fußballspiel gehen können, ohne Leute wahrzunehmen, die den deutschen Gruß machen." Die Ausforschung der Täter sei in solchen Fällen jedenfalls kein Problem, "das kann man durch technische Methoden herbeiführen". Ganz so leicht schien es den Verfassungsschützern dann doch nicht gefallen sein, das Video, das nur vorübergehend auf Youtube zu sehen war, aufzutreiben: Im Jänner 2012 ersuchten sie die derStandard.at-Sportredaktion, ihnen eine Kopie auzuhändigen - was auch geschah. Der Bitte, darüber hinaus auch Screenshots relevanter Szenen anzufertigen, kam die Redaktion jedoch nicht nach. (Maria Sterkl, derStandard.at, 14.11.2013)