Lesbischer Film noir: Im Film "Bound" (1996) werden falsche Annahmen über die sexuelle Orientierung der beiden Heldinnen gemacht.

Foto: IMDb

Ins Kino gehe ich, um von Frauen zu träumen. Die Dunkelheit des Kinosaals war der Geburtsort meiner lesbischen Existenz. Ich suchte auf der Leinwand, wie später im Leben, meine lesbischen Vorbilder und Göttinnen; aber anders als im echten Leben bestand im Kino tatsächlich die Möglichkeit, sie zu finden.

Denn ich frage mich: Wo bleiben eigentlich die Lesben? Während homosexuelle Männer es in den vergangenen Jahrzehnten geschafft haben, gesellschaftlich vielerorts vorzukommen, haben Lesben hierzulande immer noch kaum die Wahrnehmungsschwelle überschritten. Gerade weil es um die Realität eher deprimierend bestellt ist, orientiert sich lesbische Identität, wohl nicht nur in meinem Fall, stark an Fiktionen aus Film und Literatur.

Eine besonders beglückende Fiktion dieser Art kreiert Bound (1996), erster und bester Film der Wachowski-Geschwister, die später mit der Matrix-Trilogie berühmt wurden. Es ist ein wesentlicher dramaturgischer Aspekt von Bound, dass darin falsche Annahmen über die sexuelle Orientierung der beiden Heldinnen gemacht werden. Falsche Annahmen sind wichtige Handlungselemente des Film noir; dass sie hier in Verbindung mit weiblicher Homosexualität gebracht werden, steigert das schelmische Selbstbewusstsein dieses überaus kunstvollen Films: Dialoge werden in aufgeladenem Hardboiled-Jargon gehalten, Kriminalität und Sex gehen nahtlos ineinander über, Wassertropfen rinnen über schmutzige Frauenhände - der Film befindet sich in einem Zustand permanenter Feuchtigkeit. Mit einem Wort: Bound ist einer der besten Filme, die es überhaupt gibt.

Warum werden in Österreich keine solchen Filme gemacht? Warum muss ich selbst für die ästhetischen Gegenwelten, die ich brauche, um die reale Unsichtbarkeit lesbischer Identität zu kompensieren, auf den englischen oder französischen Sprachraum ausweichen?

Kürzlich kam ein österreichischer Film ins Kino, dessen Plakat mich spontan ansprach. Eine junge und eine etwas ältere Frau, die gemeinsam auf einer Wiese liegen und rauchen. Die eine schaut die andere an. Und ich denke mir: olé!

Im Kinosaal aber entpuppte sich das Ganze als die schon hundertmal kopierte und wieder kopierte österreichische Tristesse. Keine Einfälle, keine Freude - verdammt noch mal, kein Kino! Eine Ästhetik, die, mit einem Wort Charles Bukowskis gesagt, Langeweile mit Kunst verwechselt; sowie politische Themen mit politischem Film.

Und schon wieder muss ich mich etwas fragen: Wann ist in Vergessenheit geraten, dass politisches Kino einmal subversives Kino war; und dass Subversion gegenkulturelle Lust bedeutet, Geilheit also, und nicht die Produktion lahmer Festival-Vehikel, die Grünwähler in ihrem folgenlosen (und im Übrigen degoutanten) Mitleid für das proletarische Milieu bestätigen?

Klagende Petra von Kants

Ohne Kino der Lust kein lesbisches Kino; und umgekehrt, möchte ich behaupten. Dabei muss ein Film nicht einmal von Lesben handeln, um lesbisch zu sein. In gewisser Hinsicht sind Filme ohne Lesben manchmal sogar die lesbischeren Filme. Zum Beispiel die klassischen amerikanischen Mutter-Töchter-Melodramen wie Mildred Pierce (1945) oder All I Desire (1953). In beiden Filmen geht es um gutaussehende Mütter (Joan Crawford, Barbara Stanwyck), die von ihren eigenen Töchtern wie besessen sind. Das dramaturgische Element der nahen Verwandtschaft der Figuren entfernt die versierte lesbische Kinogängerin ganz einfach aus ihrer Rezeption - so leicht geht das.

Natürlich ist es von Vorteil, wenn ein Film sich seiner Untertöne ein wenig bewusst ist. Das ist bei den Filmen von Douglas Sirk, Alfred Hitchcock oder Val Lewton der Fall. Aber ich denke auch an Chantal Akerman; oder allgemeiner an jenes frankophone Kino, in dem sich Frauen von Pianos herunterzerren, um sich gegenseitig aufzufressen.

Werden Lesben als solche in der Filmgeschichte allerdings explizit sichtbar, dann gibt es, sobald es irgendwie erregend wird, leider immer auch genügend lesbische Kritik, um diese Erregung verächtlich zu machen. Beißt zum Beispiel eine Vampirin einer anderen Frau in die Brust, dann heißt es, der lesbische sexuelle Akt würde dadurch infantilisiert oder verharmlost. Gerne wird aus dieser Richtung auch behauptet, nur lesbische Schauspielerinnen dürften Lesben spielen; und eigentlich hätten überhaupt nur Lesben das Recht, lesbische Filme zu drehen. Vielleicht sollten diese Filme am Ende nur noch Lesben ansehen dürfen? Am besten auf eigenen Festivals, zu denen nur Lesben Zutritt haben?

Ich finde diesen Ansatz bestürzend. Er verwandelt Subkultur in Idiotie. Leider scheint er mir ziemlich verbreitet zu sein, und nicht nur auf dem Feld der sexuellen Differenz. Ist es nicht, frage ich mich, die generelle Tendenz der Minderheitenpolitik im Zeitalter der Political Correctness, die hier zum Vorschein kommt? Und ist all der falsch verstandene Respekt im Umgang mit stigmatisierten Gruppen, die Geste, mit der ihnen ein geschützter Raum zugewiesen wird, nicht nur die Bestätigung des Stigmas, eine äußerst perfide Technik, um sich ihre fremde Lust, die Lust eines anderen Lebens, vom Leib zu halten?

Wenn wir Lesben so dumm sind, dabei noch mitzuhelfen, wenn wir Mauern aufziehen dort, wo unsere Lust im Medium der Kultur überschwappen könnte, und wenn wir die Gesellschaft darin bestätigen, uns nur mit Samthandschuhen anzufassen, kein falsches Wort zu riskieren, weil es ein diskriminierendes sein könnte: Dann vollenden wir selbst diese falsche Politik. Dann aber brauchen wir uns eigentlich auch nicht zu wundern, dass wir gesellschaftlich unsichtbar bleiben.

Fällt das nicht mehr Menschen auf? Und empfinden nicht zumindest viele ein Unbehagen an der (Sub-)Kultur, das aus diesen Prozessen resultiert? Ist es zu gewagt, die Frage in den Raum zu stellen, ob nicht sogar die zunehmende Unlust an Politik als solcher mit der Verachtung der Lust in unserer sich anspruchsvoll gebenden Kultur zusammenhängt? Lustbesetzte Normverletzung, früher einmal das Privileg linker Gegenkultur, kommt hierzulande kaum mehr vor. Drahdiwaberl sind im Ruhestand, und in der politischen Arena vernimmt man ausgelassenes Gelächter nur noch von weit, weit rechts ... Respektvoller Umgang, im Ernst ... - meine Sexualität ist doch keine verdammte Krankheit!

Riskiert man einen Blick in die Broschüren der deutschen LGBT-Zeitschriften und -Verlage, dann findet man kurze Zusammenfassungen der mickrigen Handvoll lesbischer Romane in deutscher Zunge. Die Handlung verläuft meist wie folgt: softe Erregun- gen, dann die Frage nach der Identität, dann der Umgang mit der Identität, dann die Auseinandersetzung mit der Identität ... - schließlich der Erstickungstod an der Identität: der Leserin nämlich. Eigentlich überrascht es nicht, dass fast niemand diese lesbische Literatur lesen will. "Lesbisch" scheint in der deutschsprachigen Buchszene ein Synonym für "vertrocknet" zu sein. Das ist Diskriminierung, meine Damen und Herren.

Ich will eine lesbische Literatur mit all ihren Tropen: Vampirinnen, Road-Trips, Frauengefängnisse, sapphische Schulmädchen in kurzen Röcken, bitter klagende Petra von Kants (es gibt nämlich so viele!), Cowgirls, Nonnen, Detektivinnen - und die sollen all das haben, was gute Literatur zu bieten hat, das heißt, sie sollen entrücken, ergreifen, erschrecken! Ich will Angst haben, lachen, hassen und lieben dürfen; ich will das Wunderbare, denn - das wussten schon die Surrealisten - nur das Wunderbare ist schön!

Mindestens queer

Das kann nicht zu viel verlangt sein. Nicht umsonst waren einige der größten Literatinnen Lesben und Meisterinnen des Wunderbaren. Man denke an Virginia Woolf (Orlando), Djuna Barnes (Nightwood), Jane Bowles oder an das zu selten erwähnte Werk der britischen Kommunistin Sylvia Townsend Warner.

Und wer weiß schon so ge- nau, wer sonst noch Neigungen hatte? Ich wette, Christine de Pizan war eigentlich hoffnungslos in Jeanne d'Arc verliebt. Emily Brontë war bestimmt mindestens queer - ist Wuthering Heights nicht in Wahrheit eine lesbische Liebesgeschichte?

Und im deutschen Sprachraum: ein lesbisches Pärchen auf Verbotene Liebe? War es das? Wo, bitte, sind die ganzen Lesben? Ich weiß nämlich, dass es sie gibt! Aber wo bleibt ihr Geschepper und Geklirr? Wo bleiben ihre dreckigen Fantasien?

Bis jetzt ist davon nichts zu sehen. Aber vielleicht gibt es ja irgendwo hier in Wien eine perlmuttfarbene Gasse, in deren lauer Dunkelheit an einem Waldbach Meerjungfrauen ficken. Die Wälder sind weiß oder schwarz, on ne dormira jamais ... - Könnte es dort am Ende, so frage ich mich, nicht nur mir und den anderen Unsichtbaren, sondern vielleicht sogar allen von der österreichischen Gegenwartskultur enttäuschten und gelangweilten Menschen gefallen? (Sophie Strohmeier, Album, DER STANDARD, 16./17.11.2013)