Edlinger: "Ich bin nicht einer, der wie in der "Muppet Show" vom Balkon aus runterkeppelt."

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Standard: Was ist eigentlich Rapid? Ein Fußballverein aus Hütteldorf, das reicht als Antwort nicht.

Edlinger: Rapid ist der größte österreichische Sportverein mit einer tollen Tradition. Dieser Klub ist in der Lage, unglaublich viele Leute zu emotionalisieren. Er ist deshalb in Österreich ein wesentlicher gesellschaftlicher Faktor.

Standard: Nach zwölf Jahren ist Zeit zu bilanzieren. Waren Sie mit sich als Präsident zufrieden?

Edlinger: Ich ziehe kein Resümee über mich selbst, das wäre arrogant. Eines ist klar: Es ist sportlich viel Positives passiert. Zwei Meistertitel, Erfolge im Europacup. Und das 7:0 an einem Ostersonntag in Salzburg ist unvergesslich. Natürlich gab es schlechte Phasen. Fußball ist nicht exakt in die Zukunft zu planen, weil es sich bei den Mitwirkenden um Menschen handelt. Infrastrukturell wurden Fortschritte erzielt, wir haben ein Trainingszentrum, die Akademie wurde von Niederösterreich nach Wien übersiedelt. Jetzt stehen wir vor der Entscheidung, was mit dem Stadion passiert. Sanierung oder Neubau, die Grundlagen sind da, die Entscheidung muss das neue Präsidium treffen. Mehr war leider nicht möglich.

Standard: Haben Sie die Aufgabe unterschätzt?

Edlinger: Nein. Je mehr Menschen sich in einem Verein engagieren, desto komplizierter wird es. Habe ich im Schnitt 3000 Zuschauer und 150 Mittglieder, ist die Leitung einfacher als bei Rapid mit 15.000 Zuschauern und 6000 Mitgliedern. Aber ich beschwere mich nicht. Ich bin ja froh, dass Rapid so groß ist. In einem gemeinnützigen Verein haben Präsident und Präsidium eine höhere Verantwortung als bei einer Kapitalgesellschaft. Wir sind zur gemeinsamen Auffassung gelangt, dass es besser ist, künftig anders strukturell aufgestellt zu sein. Der Profibetrieb wird als Kapitalgesellschaft ausgelagert, der Präsident sitzt dem Aufsichtsrat vor.

Standard: Klingt unromantisch?

Edlinger: Ob Rapid als gemeinnütziger Verein oder als Kapitalgesellschaft geführt wird, ändert an der Marke, an der Zuneigung oder Ablehnung gar nichts.

Standard: Ihnen wurde vorgeworfen, keine Visionen zu haben. Was entgegnen Sie den Kritikern?

Edlinger: Die Frage ist, was eine Vision überhaupt ist. Sie kann etwas Positives, Zukunftsorientiertes sein. Es kann sich aber auch um eine Krankheit handeln. Geht die Vision so weit, dass man die wirtschaftliche Vernunft verliert, kann maximal ein Arzt helfen. Für mich war, vom sportlichen Erfolg abgesehen, entscheidend, dass alle Leute, die hier beschäftigt sind, pünktlich ihr Gehalt bekommen. Das gilt für die Sekretärin genauso wie für den Kapitän. Rapid ist ein Arbeitgeber, bei dem man nicht ums Geld zittern muss.

Standard: Gerade auf Erfolge folgten Phasen des Misserfolgs. Nach den Meistertiteln 2005 und 2008 ging es rapide bergab. Die Austria ist ein aktuelles Beispiel. Meister, ein paar Wochen später Mittelmaß. Woran liegt das?

Edlinger: Bei Fußballern spielt sich ungeheuer viel im Kopf ab. Sie merken nicht, dass eine sensationelle Leistung plötzlich von einer guten abgelöst wurde. Das ist die eine Seite. Die andere ist die, dass durch Erfolge Spieler interessant werden. Ich bin nie mit einem Bauchladen durch die Gegend gerannt und habe gefragt, wer will den Spieler X haben. Sie wollten weg, weil sie bessere Angebote bekamen. Bei aller Leidenschaft für Rapid war ich der Meinung, dass es mir nicht zusteht, auf die persönliche und wirtschaftliche Realität von jungen Menschen Einfluss zu nehmen. Das wäre egoistisch bis unmoralisch.

Standard: Ist es möglich, im österreichischen Fußball schwarze Zahlen zu schreiben?

Edlinger: Ja. In den zwölf Jahren gelang das neunmal. Davor war es einfacher, da hat die Bank Austria Verluste einfach abgedeckt. Zweimal hatten wir massiv rote Zahlen. Bestimmte Visionen, die der eine oder andere Fan in Sachen Kaderplanung haben mag, sind nicht zu erfüllen. Für mich war wichtig, zu versuchen, mit den vorhandenen Mitteln auszukommen. Eine Familie sollte sich auch nur ein Auto kaufen, das es später erhalten kann. Obwohl eine Familie leichter einen Kredit bekommt als Rapid. Weil du eigentlich kein Vermögen hast, es sei denn, du besitzt ein eigenes Stadion. Für Investitionen in Spieler bekommst du kein Geld, weil wirtschaftlich betrachtet ein Spieler nichts wert ist und für die Bank keine Sicherheit darstellt. Er kann sich ja übermorgen den Fuß brechen. Rapid ist trotzdem vor jeder Saison ein Risiko von zwei bis drei Millionen Euro eingegangen. Ich war nämlich überhaupt nicht feig.

Standard: Welche Rolle hat, welchen Einfluss nimmt die Politik?

Edlinger: Unterscheiden wir zwischen Politik und Parteipolitik. Jeder beim SK Rapid weiß, woher ich komme und welche politische Einstellung ich habe. Sie werden keinen im Klub finden, der mir parteipolitische Tätigkeiten unterstellt. Der Sport ist aber ohne Politik genauso nicht machbar wie die Kultur. Das Burgtheater, die Oper, die Salzburger Festspiele würden ohne Politik, ohne öffentliche Hand zusperren. Im Fußball ist es unmöglich, die Infrastruktur ohne Unterstützung zu stemmen.

Standard: Rapid gilt als Arbeiterverein. Ihr Nachfolger Michael Krammer ist der ÖVP zugetan. Die als bürgerlich geltende Austria hat einen roten Präsidenten, Wolfgang Katzian. Gerade im Fußball ist Tradition wichtig. Sehen Sie darin ein Problem? Oder ist das völlig egal?

Edlinger: Der Präsident ist zwar wichtig, aber er ist nicht allein. Wir haben in den zwölf Jahren im Präsidium immer gemeinsam entschieden, kamen zu Lösungen, die alle mitgetragen haben. Die einzige Vereinbarung war, dass in der Öffentlichkeit nur einer redet. Sonst wär's der Beginn des Auseinanderdividierens. Es ist egal, ob ein Schwarzer oder Roter Präsident ist. Der an der Spitze steht, muss ausgewogen handeln. Er muss ordentlich, sauber, integer sein.

Standard: Haben Sie Tipps für Krammer?

Edlinger: Ich will keine Tipps geben. Schon gar nicht öffentlich. Das ist mein letztes Interview über Rapid. Ich habe mich in den vergangenen zwölf Jahren auch nicht über die Politik geäußert. Es sei denn, es betraf Pensionsfragen. Da bin ich von der SPÖ gewählt, das ist legitim. Ich bin nicht einer, der wie in der Muppet Show vom Balkon aus runterkeppelt. Ich werde weiterhin mit großer Leidenschaft auf den Fußballplatz gehen. Glaubt der Präsident, dass ich ihm helfen kann, gerne. Um zu helfen, bedarf es keiner Funktion.

Standard: Aber Sie werden sicher Ehrenpräsident.

Edlinger: Das weiß ich nicht. Falls ja, werde ich mich bedanken. Von mir aus auch öffentlich.

Standard: Sie haben mehrmals betont, dass Rapid den Fans gehört. Einige dürften das missverstanden haben. Es gab in Ihrer Ära immer wieder Ausschreitungen. Waren Sie diesbezüglich zu weich?

Edlinger: Ich habe gesagt, Rapid gehört seinen Mitgliedern, das ist ein Unterschied. In einer Demokratie muss es möglich sein, die Meinung auszudrücken. Der Protestmarsch vor dem Hanappi-Stadion ist kein Problem gewesen, meine politischen Urgroßväter haben für das Demonstrationsrecht gekämpft. Die Grenze ist überschritten, wenn das Verbale in Gewalt umschlägt. Wir haben Platzverbote verhängt. Bei Gewalt ist bei mir der Ofen aus. Obwohl sich bei mir schon alle Haare aufstellen, wenn Leute Sohn einer H..... singen. Menschenverachtende Postings im Internet machen mich auch sprachlos. Aber das ist nicht nur eine Frage des Sports.

Standard: Freuen Sie sich darauf, ein normaler Rapid-Fan zu sein?

Edlinger: Normal war ich auch als Präsident. Ich bin seit 1946 Rapid-Anhänger. Mein Onkel hat mich mitgenommen. Ich bin auf der Pfarrwiese vor ihm im Sand gesessen. Als ich später Staatsfunktionen ausübte, waren Rapid-Spiele Fixtermine, die waren im Kalender rot angestrichen. Es war einfacher, weil das Fernsehen nicht so einen Einfluss auf Spieltage genommen hat. Als ich Vorsitzender der europäischen Finanzminister war, habe ich mitunter ein Heimspiel versäumt. Denen in Brüssel war Rapid eher wurscht.

Standard: Letzte Frage: Würden Sie es wieder tun?

Edlinger: Ja. Ich war mit Respekt und Demut Rapid-Präsident. Nachträglich hätte ich die eine oder andere Entscheidung anders getroffen. Man ist ja in der Zukunft immer gescheiter als in der Gegenwart. Interessanterweise haben Fußball und Politik etwas gemeinsam. Alle, die zuschauen, wissen besser, wie es geht. (Christian Hackl, 16./17.11.2013)