Im Kreml hängt der Haussegen schief: Premier Dmitri Medwedew wagt öffentliche Kritik an einem Gesetzesvorhaben von Präsident Wladimir Putin. Die Retourkutsche lässt nicht auf sich warten. Putin droht seinem einstigen Tandem-Beisitzer, ihn vom Sattel zu stürzen.

Seit seiner Rückkehr ins Präsidentenamt ist Putin mit der Revision der Gesetze seines Vorgängers beschäftigt. Wurde das Leben für NGOs und Demonstranten unter Medwedew leichter, werden die Regeln nun wieder verschärft. Forderte Medwedew die Altersgrenze für Top-Beamte auf 60 Jahre zu senken, hat sie Putin auf 70 angehoben. Die Justizreform wurde großteils kassiert, und er nimmt auch die Steuerreform ins Visier.

Medwedew hatte als Präsident den Sicherheitsorganen das Recht entzogen, auf eigene Faust und ohne Dokumente des Finanzamts in Steuerfällen zu ermitteln. So sollten Klein- und Mittelständler von den ständigen lähmenden Überprüfungen – oft mit dem Ziel, Bestechungsgeld zu erpressen – befreit werden. Tatsächlich verringerte sich die Zahl der Ermittlungsverfahren von bis zu 13.000 auf 2000 pro Jahr. Was die Unternehmer als Erfolg werten, kritisiert die Ermittlungsbehörde als Fiasko. Putin will Innenministerium und Ermittlungsbehörden das Privileg zu selbstständigen Ermittlungen daher zurückgeben.

"Ermittlungen einleiten kann man gegen alles mögliche, besonders auf Bestellung und für Geld, was häufig passiert, wenn eine Struktur gegen eine andere kämpft" , übte Medwedew ungewöhnlich deutliche Kritik an dem Vorhaben. Die Anzahl der Ermittlungsverfahren sei kein Indiz für die gute Arbeit der Behörden, fügte er hinzu.

Putin reagierte ungehalten: "Es gibt eine festgelegte Praxis, um Fragen zu lösen, ehe man sich an die Medien wendet" , wer nicht einverstanden sei, könne wie einst Finanzminister Alexej Kudrin zurücktreten. Putin nannte keine Namen. Medwedew dürfte die Warnung aber verstanden haben. (André Ballin aus Moskau  /DER STANDARD, 16.11.2013)