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Fast ohne Parteisymbole warb Chiles Ex-Präsidentin Michelle Bachelet um Stimmen.

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Von ihrer Konkurrentin Evelyn Matthei trennt sie ideologisch weniger als oft vermutet.

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Viele Junge sind indes von beiden Parteien enttäuscht – um ihre Stimmen werben unabhängige Kandidaten aus der Studentenbewegung.

Ihre Väter waren Waffenkameraden und gute Freunde – bis der Militärputsch Augusto Pinochets im September 1973 sie zu Gegnern machte. Alberto Bachelet starb in den Folterkellern der chilenischen Militärdiktatur, Fernando Matthei schloss sich der Junta an und avancierte zum Chef der Luftwaffe. 40 Jahre später stehen einander die Töchter der beiden im Duell um die chilenische Präsidentschaft gegenüber.

Evelyn Matthei, kühl und kompromisslos, tritt für das regierende Rechtsbündnis an und hält wortstark die Fahne des Antikommunismus und der neoliberalen Wirtschaftspolitik hoch. Doch sie scheint auf verlorenem Posten zu stehen gegen Michelle Bachelet, die Umfragen mit deutlichem Abstand in der besten Position sehen, das Rennen zu machen. Die 62-jährige Sozialistin, konziliant und kompromissbereit, regierte bereits von 2006 bis 2010 und war eine der populärsten Präsidentinnen ihres Landes; die Verfassung erlaubte ihr jedoch keine direkte Wiederwahl.

Matthei ist eine Verlegenheitskandidatin, nachdem der eigentlich von der Basis auserwählte Favorit, Ex-Wirtschaftsminister Pablo Longueira, wegen einer Depression zurücktrat. Noch dazu färbt auf sie die Unbeliebtheit des amtierenden rechten Präsidenten Sebastian Piñera ab. Korruptionsskandale und Grabenkämpfe im rechten Bündnis sorgten außerdem regelmäßig für Negativschlagzeilen. Leichtes Spiel also für das Mitte-links-Bündnis Concertación, das erstmals auch die Kommunisten ins Boot geholt hat?

Ihre Anhänger haben Plakate aufgestellt mit dem Foto der Kandidatin oder auch einfach nur einem bunten "M" . Keine Parteisymbole, keine Parolen. Der Name ist Programm. Eine Kampagne im krassen Gegensatz zu den ideologisch aufgeladenen Wortgefechten, die sich die Kandidaten der beiden Lager in Medien liefern. Matthei, die auf die deutsche Schule gegangen ist, vergleicht sich gerne mit Angela Merkel und ihre Gegnerin mit Erich Honecker.

Dass es dennoch nicht um ideologische Grabenkämpfe im Stil Venezuelas geht, ist den meisten Chilenen dennoch klar. Das chilenische Wirtschaftswunder hat den Konsum zur Religion erhoben. Die Löhne sind zwar weiterhin niedrig, aber der Kredit macht es möglich. Im Schnitt ist jeder Chilene um das Siebenfache seines Einkommens verschuldet.

"Die Concertación war 20 Jahre an der Macht, aber sie hat nie etwas an unserem Modell geändert, das die Ungleichheit zementiert" , wettert Pamela Vargas. Die 26-Jährige arbeitet im Vorort Pudahuel für die Gemeinde und demons­triert mit ein paar tausend Kollegen seit Wochen für eine Gehaltserhöhung und ein Ende der Zeitverträge. Sie verdient rund 600 Euro im Monat. Würde ihr Freund nicht auch arbeiten, könnten sie sich nicht einmal eine Wohnung leisten, von Kranken- und Pensionsversicherung ganz zu schweigen. Chile hat in der Militärdiktatur nahezu alle Dienstleistungen privatisiert, der Staat bietet nur qualitativ minderwertige Absicherung für die Ärmsten. Da auch die Gewerkschaften zerschlagen wurden, sind die Gehälter niedrig, Lohnarbeit ist kein Weg zum sozialen Aufstieg. Das hat Pamela satt, und deshalb, sagt sie, habe sie noch nie gewählt.

Viele Erstwähler erwartet

Vielleicht ändert Pamela Vargas aber diesmal ihre Meinung. Eine der Neuheiten seit Piñera ist die Abschaffung der Wahlpflicht für eingeschriebene Wähler. Wegen der Strafen bei Nichtwahl hatten sich in den vergangenen Jahrzehnten kaum junge Wähler eingetragen – mit ein Grund für die Sklerose der chilenischen Parteien und der zunehmenden Entfremdung von den Wählern. Und zum ersten Mal haben sie eine breite Palette junger, unabhängiger Kandidaten zur Auswahl wie die Studentenführer Giorgio Jackson und Gabriel Boric oder die streitbare Studentenführerin Camila Vallejo, die für die Kommunisten antritt. Alle zusammen haben sich eines auf die Fahnen geschrieben: eine Änderung der Verfassung, die noch aus der Militärdiktatur stammt und deren binominales Wahlrecht, bei dem pro Wahlkreis je zwei Kandidaten direkt gewählt werden, kleinere Parteien ausschließt und zugleich meist ein Patt im Kongress hervorbringt, was tiefergreifende Reformen verhindert. (Sandra Weiss aus Santiago/DER STANDARD, 16.11.2013)