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Schippert der Kapitän vor lauter Begeisterung zu nah an den Markusplatz in Venedig heran, darf auf den Schiffen der Carnival-Gruppe die Belegschaft eingreifen. Auch Costa-Concordia- Kapitän Francesco Schettino war für die Umschulung eingetragen. Das Unglück mit 32 Toten passierte aber davor.

Foto: EPA/ANDREA MEROLA

Fünf Uhr morgens, sechs Meilen vor der Küste Floridas. Die Emerald Princess, ein Kreuzfahrtschiff mit mehr als 3000 Passagieren an Bord, hat die Erlaubnis erhalten, in den Hafen einzulaufen. Das sechsköpfige Team auf der Brücke beginnt zu diskutieren. "Sollen wir runter auf sechs Knoten?", fragt der Navigator seinen Kollegen. "Ich fürchte, sechs sind zu wenig", gibt der Operations-Director hinter ihnen zu bedenken. Sie einigen sich auf acht Knoten.

Normalerweise gibt es auf Schiffen keine Teams, sondern einen Kapitän. Und der ist Alleinherrscher. Auf dieser Brücke jedoch ist Widerspruch, also Meuterei, ausdrücklich erwünscht: "Mach den Mund auf!", lautet das Motto. Alles wird im Team beschlossen.

Teamsein üben

Das ist neu. Und das Einlaufen in den Hafen nur eine Simulation im Center for Simulator Maritime Training (CSMART), einem maritimen Trainingszentrum in Almere bei Amsterdam speziell für Offiziere von Kreuzfahrtschiffen. Die jüngsten sind Anfang 20, die ältesten über 60.

Die Idee entstand im schwedischen Schären-Archipel: "Das Manöver durch die Schären ist für Fähren immer eine ganz besondere Herausforderung", erklärt CSMART-Direktor Hans Hederström, selbst Kapitän und ein Schwede. Eines Tages habe ein Fährenkapitän beschlossen, auf seiner Brücke ein System mit zwei gleichrangigen Offizieren einzuführen - so wie im Cockpit der Flugzeuge.

Im neuen System gibt es keine Ränge mehr und mit ihnen auch keine Kapitäne und Offiziere, sondern nur noch Funktionen. Kommt es zu Gefahrensituationen, muss gemeinsam eine Checkliste Punkt für Punkt abgearbeitet werden: "Im traditionellen System stand der Kapitän ganz vorn und hat alles allein beschlossen, ohne die anderen zu informieren", erklärt Hederström. "Folge war, dass sie sich auch nicht trauten, etwas zu sagen, wenn der Kapitän einen Fehler machte."

Kein Spezialtraining für Schettino

CSMART gehört der Carnival-Gruppe, dem größten Kreuzfahrtunternehmen der Welt, zu deren Flotte auch die havarierte Costa Concordia gehörte. Auch Francesco Schettino, der Kapitän der havarierten Costa Concordia, war vor dem Unglück in Almere erwartet worden. Dass er das Spezialtraining nicht mehr absolvieren konnte, liegt daran, dass die Reederei eine der letzten war, die an die Reihe kam.

"Wäre Schettino hier gewesen, die Katastrophe hätte verhindert werden können!" Davon zumindest ist CSMART-Direktor Hederström überzeugt: "Dann hätte es auf der Brücke ein Team gegeben - und das hätte rechtzeitig eingegriffen."

Pro Woche befinden sich bis zu 80 Offiziere in Almere, das Basistraining dauert fünf Wochen. Anschließend schaut einer der CSMART-Ausbilder auf den Schiffen selbst nach dem Rechten, prüft eine Woche lang nach, ob das Gelernte in die Tat umgesetzt werden konnte, schaut, wo der Schuh drückt, hilft und berät.

Dem Kapitän widersprechen

Denn die Methode ist neu - und damit gewöhnungsbedürftig, betont Ausbilder und Kapitän Giorgio Moretti, der für CSMART dieses anschließende Coaching an Bord durchführt: "Insbesondere jungen Offizieren fällt es schwer, dem Kapitän zu widersprechen", weiß er. "Wir schärfen ihnen dann immer wieder ein, dass jeder auf der Brücke den Mund aufzumachen hat!" (Kerstin Schweighöfer aus Almere, DER STANDARD, 18.11.2013)