In Rodi Garganico am Rande des apulischen Nationalparks Gargano schaut Italien noch aus wie zu Zeiten, in denen man Postkarten nach Hause schickte.

Foto: Enit / Vito Arcomano

Anreise: zum Beispiel mit Air Dolomiti ab München direkt nach Bari oder mit Alitalia ab Wien und Zwischenstopp in Rom nach Bari. Fürs Weiterkommen in Apulien ist ein Mietauto nötig – in Bari selbst bietet sich an, ein Fahrrad zu leihen, etwa unter www.veloservice.org.

Unterkunft: zum Beispiel in Bari das Hotel Oriente, Zimmerpreise pro Person ab 100 Euro; in Mattinata, rund 150 Kilometer nördlich von Bari direkt am Meer, das Hotel Baia dei Faraglioni, pro Person ab 230 Euro; touristische Infos über Apulien: www.viaggiareinpuglia.it oder bei der Italienischen Zentrale für Tourismus Enit: www.enit.at

Foto: Enit / Sandro Bedessi

Jeder Stiefel hat seinen Absatz, und manchmal hat der Absatz auch einen Sporn. Italien hat nicht nur den Stiefel und den Absatz, sondern auch den Sporn: Der italienische Sporn aber heißt "Gargano" und ist ein malerisch in die Adria ragendes Vorgebirge im äußersten Norden der Provinz Apulien - oder Puglia, wie die Einheimischen sagen. Bewachsen ist der Gargano mit der Foresta Ombra, einem von einer unterirdischen Höhlenlandschaft durchzogenen Mischwald, durch die das Regenwasser (wenn es denn in Puglia Regen gibt) auf verschlungenen Wegen ins Meer abfließt.

1995 ist der Gargano zum Naturschutzgebiet erklärt worden: ein Schutzwall gegen die Lust am ungenierten Verbauen, Verschandeln und Verscherbeln (eben erst hat Silvio Berlusconi den Vorschlag gemacht, der italienische Staat möge doch zur Sanierung des Budgets seine Strände verkaufen). Vorderhand hat der Schutzwall aber offenbar noch gehalten. Die Foresta Ombra besticht durch eine exorbitante Vielfalt an Pflanzen, Tieren und Gesteinsformationen: Eichen, Buchen, Ahorn, wildwachsende Orchideen, eine üppige grüne Macchia, die die Felsen überzieht, Funghi porcini, Steinpilze und Feuersteine, die härtemäßig nur knapp unter dem Diamanten rangieren. Manchmal bricht der vom Wasser unterspülte Boden plötzlich ein und bildet Dolinen, die zur Bewässerung des fruchtbaren Bodens verwendet werden.

Ferragosto ist lange vorbei, Ende September, Anfang Oktober sind die Strände von den Urlaubern wie leergefegt. Dem Touristen zeigt sich Italien von einer anderen Seite als in österreichischen Paradedestinationen wie Jesolo oder Caorle: Herber, naturbelassener, urtümlicher. Von allen Provinzen ist Apulien, nebst Kalabrien, vielleicht die archaischste. "Unvergleichlich" nennt die seit etlichen Jahren in Apulien lebende deutsche Journalistin Katja Büllman die Authentizität dieses Landstrichs und rühmt die "Wärme, Herzlichkeit und Menschlichkeit" seiner Einwohner.

Stahlblaue Kuppel

Die Bedeutung der Bezeichnung "Apulien" ist historisch ungewiss: Einer These zufolge soll sie sich von dem illyrischen Volksstamm der Yapigi herleiten, die sich angeblich im achten Jahrhundert hier angesiedelt haben. Nach einer anderen, umstrittenen etymologischen Herleitung kommt "Apulien" von der lateinischen Bezeichnung "a pluvia", ohne Regen, was auf die meiste, nicht aber, wie erwähnt, die ganze Zeit des Jahres zutrifft.

Es fällt nicht schwer, sich in dieser Umgebung der Fantasie zu überlassen, dass man sich nicht in der Gegenwart, sondern in einer Landschaft der Antike bewege, die es ewig gegeben hat und ewig geben wird. Bei der Fahrt über Land zieht sich erdnah ein flacher, diesig-schwefelgelber Ring rund um den Horizont, um dann weiter oben in eine riesige stahlblaue Himmelskuppel überzugehen. Olivenhaine erstrecken sich in alle Richtungen - mit mehr als fünfzig Millionen Olivenbäumen ist Apulien der mit Abstand wichtigste, für vierzig Prozent der Gesamtproduktion verantwortliche Olivenöllieferant Italiens.

Beim Anflug auf die apulische Hauptstadt Bari mit ihrem riesigen Weichbild haben wir braun-grüne Baumteppiche gesehen, deren Ausdehnung ihresgleichen sucht und die den apulischen Boden scheinbar endlos überziehen. Natürlich spielen Oliven und die aus ihnen gewonnenen Produkte allerorten eine außerordentlich wichtige Rolle. Auf der kurvenreichen Uferstraße, die an der Flanke des Gargano entlangläuft - hinreißende Blicke auf Meer, Sandstrand und die drei dem Gebirgsmassiv vorgelagerten Tremiti-Inseln -, bieten Verkäufer Olivenöle in unterschiedlichen Preiskategorien und mit unterschiedlichen Parfümierungen sowie schwarze und grüne Oliven in allen Formen und Größen an.

Buchten und Grotten

Der Gargano lässt sich nicht nur auf dem Landweg erkunden, sondern auch und vor allem mittels einer ausgedehnten Bootsfahrt an der Küste, ausgehend von der pittoresken, von zwei schönen Sandstränden flankierten kleinen Stadt Vieste. Dramatisch nach oben strebende helle Kalkfelsen mit klar voreinander abgegrenzten Sedimentschichten wechseln mit lieblichen Buchten und Grotten, die von den Einwohnern je nach ihrer seefahrerischen Verwendung oder ihrem Erscheinungsbild mit Namen versehen wurden: Eine Schmugglergrotte gibt es da (Grotta dei Contrabbandieri), eine "warme Grotte" (Grotta Calda), die "Tomatengrotte" (Grotta dei Pomodori, so benannt nach einigen sonderbaren rotfleckigen Weichtieren, die an den Felswänden des Grotteneingangs haften), oder auch die "Zwei-Augen-Grotte" (Grotta dei due Occhi), die die vorbeifahrenden Reisenden aus zwei leeren Höhlen heraus mustert.

Pfahlbaukonstruktionen

Bei der Rückreise nach Vieste öffnet sich der Blick auf einen spektakulären, 25 Meter hohen Kalkfelsmonolithen namens Pizzomunno: Einer lokalen Legende zufolge handelt es sich bei Pizzomunno um einen Fischer, der aus Gram zu Stein wurde, weil ihm ein paar eifersüchtige Meerjungfrauen seine geliebte Gattin auf Nimmerwiedersehen in die Meerestiefe entführt hatten.

Ein Feature, auf das man an der Gargano-Küste immer wieder trifft, sind die sogenannten Trabucchi, eigenwillige, an den Kalkfelsen befestigte und über das Wasser hinwegragende Pfahlbaukonstruktionen, von denen aus die Fischer Reusen und Netze ins Meer absenkten, die aber heute von niemandem mehr fachgerecht gebaut werden könnten.

In Gebrauch sind aktuell nur noch wenige von ihnen, manche sind in eine Art uriger Freiluftrestaurants umgewandelt worden, quasi die Apulien-Variante des österreichischen Heurigen. Dort gibt es allerdings hauchdünn geschnittenen Schwertfisch oder die Bruschetta, reichlich mit Olivenöl beträufeltes und mit Petersilie bestreute, geröstetes Brot, das im salzigen Meerwind besonders gut mundet.

Die lokalen Weinsorten, die ausgeschenkt werden, sind ein eigenes Kapitel: Negroamaro, Nero di Troia und Primitivo wurden früher ob ihres tendenziell sehr hohen Alkoholgehaltes - bis zu 18 Prozent - eher skeptisch betrachtet, haben sich aber inzwischen durch ihren Charakter und Geschmack einen immer größeren Liebhaberkreis erobert. Zur urtümlichen, archaischen Prägung des Landes passen diese schweren Kreszenzen allemal ausgezeichnet. (Christoph Winder, DER STANDARD, Album, 16.11.2013)