Der 28. Mai 2008 sollte zum großen Freudentag in der Geschichte Nepals werden. Nach jahrhundertelanger Existenz als Monarchie und einem blutigen Bürgerkrieg wurde offiziell die konstitutionelle demokratische Bundesrepublik Nepal ausgerufen. Die verfassungsgebende Versammlung sollte innerhalb der folgenden zwei Jahre eine Verfassung für die neue Republik ausarbeiten, um dann offiziell als Parlament weiterzuarbeiten und um der hart erkämpften Demokratie ein konkretes Antlitz zu verleihen. Nun, rund fünfeinhalb Jahre später, fehlt Nepal noch immer dieses Antlitz, den Parteien wird flächendeckende Korruption vorgeworfen, und die Bevölkerung lebt mehr denn je in Armut. Die Wahl am Dienstag soll die Krise endlich beenden. In der Bevölkerung hat man die Hoffnung großteils aber schon aufgegeben.

Ausschlaggebend für den Frust in der Bevölkerung ist der Streit zwischen den drei großen Parteien: die Vereinigte Kommunistische Partei Nepals (Maoistisch), die sozialdemokratische Kongresspartei und die Kommunistische Partei Nepals (Marxisten-Leninisten). Letztere zwei spielen traditionell eine wichtige Rolle in Nepal. Die Maoisten hingegen lieferten sich von 1996 bis 2006 einen blutigen Bürgerkrieg mit der herrschenden Monarchie, in dem fast 14.000 Menschen starben. Bei der ersten Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung wurden die Maoisten zur stärksten Kraft gewählt. Die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit in der Versammlung mit 601 Sitzen, um eine Verfassung im Alleingang zu verabschieden, erhielten sie aber nicht, deshalb sind die drei großen Parteien aufeinander angewiesen.

Ein Junge macht in Kathmandu unter Wahlplakaten der Maoisten seine Hausübungen. (Foto: AP/Niranjan Shrestha)

In vielen Fragen erzielten die Parteien seit 2008 einen Konsens, der große Streitpunkt ist aber die Frage nach Föderalismus und der Stärkung benachteiligter Volksgruppen. Im hinduistisch dominierten Nepal leben mehr als hundert verschiedene ethnische und religiöse Gruppierungen. Während der Zeit der Monarchie lag die Macht vor allem in den Händen von Hindus aus hohen Kasten, obwohl diese nur knapp 30 Prozent der Bevölkerung ausmachten.

Mit dem Entstehen der Bundesrepublik fordern nun auch die anderen Volksgruppen ihren Teil an der Macht. Konkret bedeutet das ein föderales Regierungssystem mit ausgeprägter regionaler Autonomie. 2008 haben formell alle Parteien diesen Plänen zugestimmt, tatsächlich setzen sich aber nur die Maoisten dafür ein, da sie unter den benachteiligten Volksgruppen viele Anhänger haben. Auf der anderen Seite vertreten die Kongresspartei und die UML die hohen Kasten der Hindus. Daher wünschen sie sich auch einen starken Zentralstaat und möglichst wenige Gliedstaaten, um weiterhin von Kathmandu aus soviel Macht wie möglich ausüben zu können.


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Zu einem Kompromiss in dieser Frage ist es nie gekommen. Zahlreiche Fristen zur Verabschiedung einer Verfassung liefen ohne Ergebnis ab, sodass sich die verfassungsgebende Versammlung im Mai 2012 auflöste und Neuwahlen ankündigte. Diese wurden immer wieder verschoben, bis man sich auf den 19. November einigte. In der Zwischenzeit regierte ein vom Obersten Richter geführtes Übergangskabinett das Land mit seinen rund 27 Millionen Einwohnern.

Unter diesen 27 Millionen Einwohnern ist der Jubel über das Ende der Monarchie mittlerweile längst verflogen. Es herrscht Zorn über die weiterhin instabile politische Lage, die dazu führt, dass wichtige Reformen nicht realisiert werden können. Die Armut ist allzeit präsent, mit einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von 388 US-Dollar (288,86 Euro) gehört Nepal zu den ärmsten Ländern der Welt. Die Inflation liegt im zweistelligen Bereich, tausende jungen Menschen verlassen ihre Heimat, um in den Golfstaaten oder in Malaysia Arbeit zu finden. Von den Erwachsenen, die noch in Nepal sind, kann die Hälfte nicht lesen oder schreiben.

Prachanda, einst ein Held, mittlerweile gilt er als korrupt. (Foto: Reuters/Navesh Chitrakar)

Und als wäre die Politikverdrossenheit nicht schon groß genug, halten sich hartnäckige Korruptionsgerüchte um die einstigen Heilsbringer. Die Maoisten wurden 2008 noch als Helden gefeiert, die die Monarchie und die herrschende, korrupte Klasse bekämpften. Mittlerweile haftet aber auch ihnen der Ruf der Bestechlichkeit an. Bekanntestes Beispiel dafür ist Pushba Kamal Dahal - auch Prachanda genannt - der Vorsitzende der Maoisten. Früher als Kommandant der Rebellen tätig, erscheint er heute bei jedem öffentlichen Auftritt in fein geschnittenem Zwirn. Er, der versprach, Nepal zu einer asiatischen Schweiz zu machen, reist während des Wahlkampfes im großteils schwer zugänglichen Nepal mit dem Helikopter durchs Land, während seine politischen Konkurrenten den mühsamen Landweg auf sich nehmen müssen. Die weitverbreitete Meinung dazu ist klar: Prachanda hat sich bereichert, vor allem während seiner Zeit als Premierminister von 2008 bis 2009.

Trotz des Popularitätsverlustes und trotz eines erwarteten starken Rückgangs der Wahlbeteiligung werden die Maoisten wahrscheinlich auch am Dienstag einen Wahlsieg feiern. Dann gilt es, einen Kompromiss mit den anderen Parteien zu erreichen. Nepal hätte eine Verfassung bitter nötig. (Kim Son Hoang, derStandard.at, 18.11.2013)