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19. November 1863 - die Einweihung des Friedhofs steht bevor.

Foto: AP/Library of Congress, Alexander Gardner

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Eine 1905 veröffentlichte Zeichnung zeigt US-Präsident Abraham Lincoln bei der Friedhofseinweihung - seine Rede sollte in die Geschichte eingehen.

Foto: AP/Sherwood Lithograph Co. via the Library of Congress

New York - Die Zeitgenossen waren sich einig, dass das keine große Rede war. Und sogar der Präsident selbst soll es gedacht haben. Sie irrten. Die "Gettysburg Address" war nur gut zwei Minuten lang, gehört heute aber zu den berühmtesten Ansprachen der Geschichte. Vor 150 Jahren schuf US-Präsident Abraham Lincoln an einem Soldatenfriedhof in Pennsylvania ein Stück Kulturgut und einen Teil der US-Identität.

Knapp ein halbes Jahr war vergangen, seit beim Dörfchen Gettysburg nördlich von Washington 94.000 Nord- und 72.000 Südstaatler übereinander hergefallen waren. Tausende wurden sofort getötet oder verreckten elendig an ihren Wunden in der heißen Julisonne. Das furchtbare Gemetzel hinterließ eine Narbe auf der amerikanischen Seele, entschied aber den Bürgerkrieg: Der Süden hatte trotz seines brillanten Generals Robert E. Lee die Offensivfähigkeit verloren und führte nur noch Rückzugsgefechte. Im April 1865 war der Krieg aus.

Einweihung des Friedhofs

Die Bedeutung der Schlacht von Gettysburg in Pennsylvania hatten schon Zeitgenossen erkannt und so kam der Präsident persönlich, um am 19. November 1863 bei der Einweihung des Friedhofs die Gefallenen zu ehren. Dabei war Lincoln nicht einmal der Hauptredner. Der Pastor und frühere Senator Edward Everett hatte vor ihm gesprochen - zwei Stunden. Seine Worte waren erbauend, aber ermüdend. Nach einem Musikstück kam der Präsident.

"Vor 87 Jahren gründeten unsere Väter auf diesem Kontinent eine neue Nation, in Freiheit gezeugt und dem Grundsatz geweiht, dass alle Menschen gleich geschaffen sind", begann er. In wenigen Worten legte er den Grund des Krieges und die Daseinsberechtigung der Vereinigten Staaten von Amerika dar. Demokratien gab es damals kaum und ihre Existenz war nicht selbstverständlich. Die Monarchien Europas sahen in dem Bürgerkrieg sogar den Beweis, dass das Experiment in der neuen Welt nicht funktioniere. Die Männer seien nicht vergebens gefallen, sagte Lincoln, "damit die Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk, nicht von der Erde verschwinden möge".

Lob und Tadel

Die Rede werde wie ein schlechter Pflug nicht durchkommen, soll Lincoln zu seinem Leibwächter gesagt haben, doch das ist umstritten. Aber auch das Publikum soll nur höflich applaudiert haben. Von der "New York Times" gab es zwar Lob, doch die "Chicago Times" schrieb: "Die Wangen jedes Amerikaners müssen sich vor Scham gerötet haben, als der Mann, der intelligenten Ausländern als der Präsident der Vereinigten Staaten vorgestellt wird, seine albernen, flachen und belanglosen Worte von sich gab."

Heute gehört die Gettysburg Address zu den großen Reden der Rhetorikgeschichte. Martin Luther King nahm in seiner berühmtesten Rede ("I have a dream...") Bezug darauf, John F. Kennedy tat es und Generationen von Schülern mussten die Rede auswendig lernen. Philipp Scheidemann rief bei der Ausrufung der Republik in Deutschland am 9. November 1918 "Alles für das Volk, alles durch das Volk!" und eine wörtliche Übersetzung der Originalpassage von Lincoln findet sich selbst in der französischen Verfassung. Da muss der "Harrisburg Patriot" einlenken: Die Zeitung entschuldigte sich vergangene Woche, dass sie Lincolns Rede 150 Jahre zuvor als "dummes Geschwätz" bezeichnet hatte. (APA, 18.11.2013)