Die 40-jährige Erthel Toris Ribo und ihre Töchter vor dem zerstörten Haus. Nun beginnen auf Bantayan die Aufräumarbeiten. Die Insel liegt nordwestlich von Cebu.

Foto: Ingrid Müller

Für die Menschen von Madridejos war der 8. November 2013 die Stunde null. An diesem Morgen fegte der Supertaifun Hayian über ihre Gemeinde - danach war hier so gut wie kein Haus mehr heil, die meisten stehen gar nicht mehr. An so etwas können sich auf der Insel Bantayan nicht einmal die ganz Alten erinnern. Sie lagen mitten in der Schneise, die Hayian quer über die Philippinen zog.

Erthel Toris Ribo steht dort, wo einmal die erste Etage ihres Hauses war. Es gibt keine Wände mehr, Teile des Daches fehlen. "Das war meine Küche", zeigt die 40-Jährige mit ausholenden Armbewegungen auf eine Anrichte mit Blick ins Freie. "Selbst die Zwischenwand ist weggeflogen." Sie lacht. Es ist kein fröhliches Lachen, es ist ihre Art, mit dem Desaster umzugehen.

"Sie weinen jetzt viel"

Auf praktisch jedem freien Fleck liegt und hängt nasse Kleidung zum Trocknen, ein paar Möbelstücke sind verstreut auf der Etage, zwischendrin spielen ihre drei Mädchen und der 13-jährige Sohn. "It It", wie sie die Sechsjährige mit den langen dunklen Haaren rufen, tobt durch das Durcheinander und kommt mit ein paar Farben zurück, die den Sturm heil in einer Packung überstanden haben. Pinsel hat sie auch gefunden, sie will malen. It It wirft die Farben schon mal ihrer Schwester Tin Tin nach unten. Ist ja alles offen jetzt. Doch so unbekümmert, wie sie wirken, sind sie nicht. "Sie weinen jetzt viel. Und als am Dienstag wieder Regen kam, haben sie gerufen ,Mama, Mama' und ,Gott, nicht schon wieder ein Taifun'", erzählt die Mutter, während sich eine Tochter an sie schmiegt.

Das Haus der Ribos ist ein Künstlerhaus - unten, in einer schmalen Nische längs des Hauses im Erdgeschoß, steht wie zum Hohn: "No Vandalism please respect Filipino artist." In dem bunt bemalten Raum hat sich die Familie versteckt. "Als der Sturm kam, sind wir durch die Küche und über die Garage nach unten gerannt. Bis um drei Uhr nachmittags haben wir uns verkrochen", erzählt sie und zieht die Schultern wie zum Schutz eng um den Körper. "Es war wie eine Atombombe. Erst kam der Sturm von da, dann von da", sagt sie und dreht sich um die eigene Achse. Dann hält sich Erthel Ribo die Hand vor den Mund mit der Zahnlücke, als sollte sie das jetzt nicht sagen: "Sogar der Schrank und", - sie macht eine Pause - "und meine ganze Unterwäsche ist mit den Wänden rausgeflogen. Sie lag da unten verstreut im Wasser." Das war für sie besonders schlimm.

Waschen konnte sie auch noch nicht, die Versorgung läuft noch nicht wieder. Das Wasser, das sei das größte Problem, sagt Erthel Ribo.

8000 Familien brauchen Häuser

Das weiß auch der Bürgermeister Salvador dela Fuente. Für ihn sind die kaputten Häuser aber noch drängender. Der Mann mit Basecap, grau-schwarzem Ringelshirt, karierten Bermudas, bunten Glasperlen am Arm und einer Goldkette mit Amulett um den Hals ist gerade für die dritte Amtszeit wiedergewählt worden. Er hat vor seinem Bürgermeisteramt zwei weiße Schreibtische mit Stühlen aufgestellt. "Informationsstelle" haben sie dran geschrieben, dahinter hängen an Tafeln und den Wänden großformatige Listen, auf denen sie Zahlen über Betroffene zusammentragen. Hinter ihnen unter dem ausladenden Leuchter in der Eingangshalle des Amtes lagern meterhoch Säcke mit Reis.

8000 Familien bei ihm bräuchten neue Häuser, sagt Fuente, das sind 98 Prozent der Menschen in seinem Landkreis, der ganz oben im Norden von Bantayan liegt. Auch beim bisher heftigsten Sturm seien es maximal 3000 gewesen. "Diesmal ist es mehr als das Doppelte", sagt er und zuckt die Schultern. "Wir haben viele Tischler, aber jetzt sind alle mit dem Aufbau ihrer eigenen Häuser beschäftigt", sagt er. Er ist ein bisschen ratlos, aber er ist völlig ruhig. Auch sonst ist auf der ganzen Insel kein lautes Wort zu hören, keiner hier bittet um Hilfe, auch der Bürgermeister nicht.

Am Montag soll das Wasserwerk repariert sein, dann will der Bürgermeister auch die Schulleiter zusammenrufen, um zu beraten, wie sie die zusammengebrochenen Gebäude wieder sicher machen können. In den Straßen räumen Bulldozer den Müll in große weiße Laster. Wellblech von kaputten Dächern wird gesammelt und abtransportiert. In ein paar Monaten, meint er, hätten sie das Gröbste sicher geschafft.

Hilfe von der Nachbarinsel

Dann steht eine junge Frau neben ihm, sie kommt von der Nachbarinsel Cebu, dort haben sie für die Opfer gesammelt, nun haben sie es endlich bis hierher geschafft. An dem kleinen Hafen Cebus, wo die Fähren nach Bantayan ablegen, stehen lange Schlangen mit privat organisierter Hilfe. Autos und Laster warten Stoßstange an Stoßstange den ganzen Hügel hoch, auch am Abend ist das Bild nicht viel anders, obwohl die Boote rasch abgefertigt werden. Wer auf ein Boot will, muss stundenlang warten.

Erthel Toris Ribo und ihre Familie haben inzwischen aufgeräumt, was sie aufräumen können. Aber die Mutter kann sich im Moment nicht vorstellen, wer das alles wieder aufbauen soll. Die Bäckerei, die nur noch ein Haufen Blech und Balken ist, oder das Haus von Elisabeth Ilustrisima, das 60 Jahre allen Stürmen standgehalten hat und nun umgekippt und kaputt zur Hälfte auf der Straße liegt. Sie sitzt mit ihren drei Enkeln daneben, spült gerade die Teller vom Mittagessen. Seit heute haben sie eine grün-weiße Plane zum Schutz gegen Sonne und Regen. Die hat die Tochter geschickt, die seit sechs Monaten in Dubai arbeitet. (Ingrid Müller aus Madridejos, DER STANDARD, 19.11.2013)