Die Ansage, die SPD-Chef Sigmar Gabriel beim dreitägigen SPD-Parteitag in Leipzig machte, war recht deutlich. "Ich werde der SPD keinen Koalitionsvertrag vorlegen, in dem die doppelte Staatsbürgerschaft nicht drin ist", erklärte er. Und die Genossen applaudierten begeistert.
Ihren Beifall hat Gabriel wohlwollend hingenommen. Ganz weit weg war zu diesem Zeitpunkt ein anderes Geräusch: das Grummeln in der CDU. Gabriels Ansage verspricht also Würze für den Abschluss der Koalitionsverhandlungen. Denn er hat sich damit ziemlich eingemauert.
Zwei Pässe
So wird die doppelte Staatsbürgerschaft - neben dem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro - zur zweiten unverhandelbaren Bedingung der SPD. Seit Jahrzehnten kämpft sie dafür, dass in Deutschland geborene Kinder von Ausländern zwei Pässe haben dürfen.
1998, kurz nachdem Rot-Grün nach 16 Jahren Kanzler Helmut Kohl und seine schwarz-gelbe Regierung abgelöst hatte, versuchten Sozialdemokraten und Grüne recht rasch die doppelte Staatsbürgerschaft einzuführen. Sie wollte in Deutschland geborenen Kindern von Migranten neben der Staatsbürgerschaft der Eltern auch die deutsche gewähren.
"Recht des Bodens"
Das Ius sanguinis ("Recht des Blutes", also das Abstammungsprinzip), sollte um das Ius solis ("Recht des Bodens") erweitert werden. Der Staat sollte seine Staatsbürgerschaft auch an jene Kinder verleihen, die auf seinem Boden geboren werden.
Doch bei der Union kam das gar nicht gut an. Sie bestand darauf, dass man die deutsche Staatsbürgerschaft nur auf Antrag und Prüfung erhalten solle. Flugs organisierte sie eine Unterschriftenkampagne gegen den Doppelpass, und diese war sehr erfolgreich. Fünf Millionen Bürger beteiligten sich.
Kompromisse
Besonders eifrig sammelte zu Jahresbeginn 1999 der damals noch eher unbekannte hessische CDU-Politiker Roland Koch Unterschriften. Er befand sich mitten im Landtagswahlkampf und wollte die rot-grüne hessische Landesregierung ablösen.
Es gelang ihm nicht nur das. Durch den Machtwechsel in Hessen verlor Rot-Grün die Mehrheit im Bundesrat und war somit auch beim Staatsbürgerschaftsrecht auf Kompromisse mit der Union angewiesen. Die rot-grünen Pläne von einer dauerhaften Doppelstaatsbürgerschaft waren vom Tisch.
Eine Staatsbürgerschaft aufgeben
Heraus kam schließlich folgender Kompromiss: Kinder von Zuwanderern erhalten zunächst beide Staatsbürgerschaften: die der Eltern und die deutsche. Zwischen dem 18. und dem 23. Lebensjahr müssen sie aber eine davon aufgeben. Entscheiden sie sich nicht, wird ihnen der deutsche Pass automatisch aberkannt.
Nicht nur für die SPD, auch für die Migrationsexpertin der Linken, Sevim Dagdelen, ist das ein Unding: "Es geht um Menschen, die als Deutsche in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Sie sollen im Erwachsenenalter die deutsche Staatsangehörigkeit wieder verlieren, weil sie angeblich ihre Loyalität nicht unter Beweis stellen und ihre zweite Staatsangehörigkeit aufgeben."
"Lex Türkei"
SPD-Innenexperte Thomas Oppermann weist darauf hin, dass es sich streng genommen um eine "Lex Türkei" handelt. Denn dieses Optionsmodell trifft längst nicht alle. Rund 50 Prozent der 100.000 Menschen, die im Jahr 2011 eingebürgert wurden, konnten ihren alten Pass behalten, weil sie aus der EU oder der Schweiz stammen. Hier gestattet Berlin den Doppelpass. Optieren hingegen müssen Bürger aus Serbien, Bosnien oder der Türkei - der größten Gruppe von Migranten.
Warum das so bleiben soll, erklärt Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) so: "Wenn wir Millionen von Menschen die doppelte Staatsbürgerschaft geben, die sie weitervererben, werden wir eine dauerhafte türkische Minderheit in Deutschland haben." Dies bedeute eine "langfristige Veränderung der Identität der deutschen Gesellschaft".
Dem entgegnet Migrationsforscher Klaus J. Bade: "Eine doppelte Staatsangehörigkeit führt nicht zu Identitätsproblemen, sonst würden über 90 Prozent der eingebürgerten EU-Bürger, die zwei Pässe haben, darunter leiden."
Fast alle wollen deutsch sein
Bis 2017 müssen sich jährlich 3.000 bis 7.000 junge Menschen für einen Pass entscheiden, danach steigt die Zahl jedoch auf 40.000 pro Jahr an. Derzeit votieren mehr als 90 Prozent für die deutsche Staatsbürgerschaft. "Einbürgerungen unter Hinnahme der Mehrstaatlichkeit", fordern auch mehrere Migrationsverbände von Schwarz-Rot.
Verhandler von CDU/CSU haben nun angeboten, die Optionspflicht aufzuschieben, bis die Betroffenen 30 Jahre alt sind. Auch das lehnt die SPD ab. Sie setzt auf Bayerns Ministerpräsidenten Horst Seehofer, der plötzlich neue Töne anschlägt und erklärt: Ich frage mich, ob es noch Sinn macht, die jungen Leute zwischen 18 und 23 Jahren durch diese Zerreißprobe zu jagen. Die Bereitschaft, sich in Deutschland zu integrieren, erhöht dies nicht." (Birgit Baumann aus Berlin, DER STANDARD, 19.11.2013)