Acht Experten der Universität Innsbruck untersuchten ehrenamtlich die Vorgänge in der Kinderbeobachtungsstation.

Foto: MedUniversität Innsbruck

Innsbruck - Auf 149 Seiten wurden die jahrzehntelang geduldeten Gewaltverbrechen an Kinder nun dokumentiert. "Beschimpfung, Verhöhnung, Demütigung, kaltes Abduschen, Dauerbeobachtung, Schläge und medikamentöse Ruhigstellung - all das war an der Tagesordnung, um die jungen Menschen als abnorm abzustempeln", sagt der Zeithistoriker Horst Schreiber.

Er ist eines von acht Mitgliedern der von der Medizinischen Universität Innsbruck im Jahr 2012 eingesetzten Expertenkommission, die am Montag ihren Bericht zur Kinderbeobachtungsstation von Maria Nowak-Vogl vorstellte. Ziel war es, Fragen über den Hintergrund und das Ausmaß des Unrechts dort zu beleuchten.

"Landesweites Gewaltsystem"

Das Ergebnis ist nun ein Protokoll von struktureller Gewalt, unangemessenen Behandlungsmethoden und Versuchen an Kindern mit dem Hormonpräparat Epiphysan, das zur Therapie sogenannter "Hypersexualität" verabreicht wurde. "Maria Nowak-Vogl war Teil eines landesweiten Systems, das Kindern Gewalt antat", sagt Günther Sperk, Vorsitzender der Kommission.

Nowak-Vogl leitete die im Jahr 1954 vom Land eingerichtete psychiatrische Einrichtung bis zu ihrer Pensionierung 1987 - 3650 Krankengeschichten von Kindern aus Tirol, Vorarlberg, Südtirol, Salzburg, Bayern und vereinzelt aus anderen Regionen wurden in diesem Zeitraum dokumentiert. Ihre eigene Personalakte und jene einiger ihrer Mitarbeiter sind jedoch unauffindbar.

"Dritte Säule des Fürsorgeerziehungsregimes"

Was der Bericht auch aufzeigt, ist die zentrale und anerkannte Macht- und Schlüsselrolle, die Novak-Vogl zu Lebzeiten im Bereich der Kindererziehung und -psychiatrie genoss. Sie agierte als Fürsorgeärztin, Psychiaterin, lehrte an der Universität und war exklusive Gutachterin und Behandlerin von Heim- und Pflegekindern wie auch Kindern, bei denen die Jugendwohlfahrt die Notwendigkeit einer Fürsorgeerziehung prüfen ließ.

"Die Kinderbeobachtungsstation war neben der Jugendwohlfahrt und den Heimen die dritte Säule des Fürsorgeerziehungsregimes", sagt die Erziehungswissenschafterin Michaela Ralser. Kinder seien zwar leichtfertig auf die Station eingewiesen worden, danach sei es jedoch fast unmöglich gewesen, dem System der Fürsorge zu entkommen. Im Durchschnitt waren die Kinder drei bis acht Wochen dort.

Betroffene hatten und haben die Möglichkeit, sich bei der Opferschutzkommission des Landes zu melden. Auf Standard-Nachfrage sagte die zuständige grüne Landesrätin Christine Baur, es werde jedoch durch den Bericht zu keiner Neubewertung der Ansprüche von Opfern der Kinderbeobachtungsstation kommen. Das Land unterstütze aber zukünftige Forschungsaufträge. (Katharina Mittelstaedt, DER STANDARD, 19.11.2013)