Emile Zuckerkandl starb an einem Gehirntumor (Archivbild vom Mai 2011).

Foto: Thomas Trenkler

Palo Alto / Wien - Am 9. November 2013 starb, wie erst jetzt bekannt wurde, der Biologe Emile Zuckerkandl in Palo Alto (Kalifornien) an einem Gehirntumor. 1962 hatte er mit Linus Pauling, dem zweifachen Nobelpreisträger, die Hypothese einer molekularen Uhr postuliert.

Zuckerkandl, am 4. Juli 1922 geboren, entstammte einer der bekanntesten jüdischen Familien Wiens: Seine Großmutter war die Journalistin Berta Zuckerkandl, die in ihrer Wohnung über dem Café Landtmann einen legendären Salon führte, sein Großvater der berühmte Anatomieprofessor Emil Zuckerkandl, nach dem u. a. ein Organ benannt ist. Er wuchs im weitläufigen Areal des Sanatoriums Purkersdorf auf, das bis zur NS-Zeit seiner Familie gehört hatte.

Flucht aus Österreich

Ende März 1938 floh Emile Zuckerkandl mit seiner über alles geliebten Großmutter aus Österreich. Im Gespräch mit dem STANDARD im Mai 2011 erinnerte er sich: "Wir sind mit dem Arlberg-Express - es sollte ein guter Zug sein, da hat man sich etwas sicherer gefühlt - nach Paris. Es war ein Abschied. Besonders für meine Großmutter. Als man aus dem Zug Salzburg und die Festung Hohensalzburg sah, sagte meine Großmutter: 'Das werde ich nie wieder sehen.'" Berta Zuckerkandl, die 1945, kurz nach Kriegsende, starb, sollte recht behalten.

1940, als die Nationalsozialisten in Frankreich einmarschierten, ging die Flucht weiter: über Marokko nach Algier. Nach dem Zweiten Weltkrieg studierte Emile Zuckerkandl in den USA und an der Sorbonne, 1959 holte Linus Pauling ihn nach Pasadena ans California Institute of Technology. Mitte der 1960er-Jahre wurde er als Forschungsdirektor ans Centre National de la Recherche Scientifique in Montpellier berufen; dort gründete er ein Forschungszentrum für Molekularbiologie, das er für ein Jahrzehnt leitete. 1977 kehrte Emile Zuckerkandl zurück nach Kalifornien, bis 1992 war er Präsident des Linus Pauling Institute.

Unglaubliches Familienarchiv

Im Zuge des Interviews öffnete Zuckerkandl dem STANDARD sein unglaubliches Familienarchiv. Auch wenn sich der alte Herr eigentlich nicht von seinen Schätzen trennen wollte: Ihm war es wichtig, sie zu seinen Lebzeiten gut untergebracht zu wissen. Auf Anregung des STANDARD erwarb die Nationalbibliothek diese Sammlung. Ein besonderes Dokument ist der auf Französisch und Deutsch geschriebene Bericht Berta Zuckerkandls über ihre Flucht durch Frankreich. Er wurde im Rahmen der Ausstellung "Nacht über Österreich. Der Anschluss 1938 - Flucht und Vertreibung" von 7. März bis 28. April 2013 erstmals ausgestellt. Zudem erschien eine kommentierte Edition unter dem Titel "Flucht! Von Bourges nach Algier im Sommer 1940" beim Czernin-Verlag. Emile Zuckerkandl war über die Publikation mehr als glücklich. Nun begannen ihn die Kräfte zu verlassen.

Kein Glück hatte Zuckerkandl mit diversen Restitutionsforderungen. 2010 zum Beispiel empfahl der Rückgabebeirat, das Bild "Mohnwiese" nicht "an die Erben nach Emile Zuckerkandl" zurückzugeben. Alfred Noll, sein Anwalt, war erbost. Denn die Bürokratie habe "mit einem Federstrich" erledigt, was dem NS-Regime nicht gelungen war: Sie löschte, so Noll, die Existenz des jüdischen Flüchtlings Emile Zuckerkandl aus. Nun ist er wirklich gestorben. (Thomas Trenkler, DER STANDARD, 18.11.2013)